Der Nahost-Konflikt auf YouTube

Zum israelisch-palästinensischen Konflikt gehört auch der Kampf der Bilder. In seinem interessanten Berlinale-Film „The Viewing Booth“ geht der israelische Regisseur Ra’anan Alexandrowicz den Mechanismen mit einem Experiment auf den Grund. Eine Rezension von Jörn Schumacher
Von Jörn Schumacher
Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters: „The Viewing Booth“ thematisiert den Kampf der Bilder im Nahost-Konflikt

Wenn Studenten einer amerikanischen Universität Internet-Filme ansehen, die von den Aktivitäten der israelischen Armee im Westjordanland handeln, stehen sie vor derselben Aufgabe wie der durchschnittliche westliche Beobachter auch: Wie kann man den Wahrheitsgehalt des Gezeigten bewerten? Inwiefern sitzt man hier vielleicht gerade anti-israelischer Propaganda auf?

Der israelische Filmemacher Ra’anan Alexandrowicz („The Law in These Parts“, 2011 und „The Inner Tour“, 2001) wollte diesen Fragen mit seinem Film „The Viewing Booth“ auf den Grund gehen. Er lud Studenten ein, eine Auswahl von Internet-Videos zum Nahost-Konflikt zu sehen und diese in Echtzeit zu kommentieren. Dabei filmte er die Versuchsteilnehmer. Bei den Filmchen handelte es sich um Videos der Menschenrechtsorganisation B’Tselem.

Zumeist sind dabei israelische Soldaten zu sehen, die mit Palästinensern umgehen wie mit verdächtigen Straftätern. Die Betrachter müssen sich nun verschiedene Fragen stellen: Gehen die israelischen Soldaten mit den Palästinensern unangemessen brutal um? Haben palästinensische Kinder eine bessere Behandlung verdient? Ist das gezeigte Verhalten der Personen angemessen oder nicht?

Ohne Kontext nur Emotion

Die Versuchsteilnehmerin Maia Levy ließ den Filmemacher dabei besonders aufhorchen. Denn, so sagt er später im Film, ihre Reaktionen zeigten: Maia ist genau jene Vertreterin von Beobachtern, für die Alexandrowicz seine Filme dreht, und für die wohl auch die Aktivisten von B’Tselem ihre Arbeit machen.

Maia erkennt schnell, dass bei den Filmchen der Kontext fehlt. Es ist nur zu sehen, was Einheiten der israelischen Armee oder Kippa tragende Jugendliche Palästinensern antun. Was davor war, was die Palästinenser ihrerseits gesagt oder getan haben, wird nicht gezeigt.

Maia scheint schon einige YouTube-Videos von B’Tselem gesehen zu haben, denn ihr Blick ist durchdrungen von Skepsis. Ist das wirklich alles echt, was sie da sieht? Sind die Filme vielleicht gefälscht? Wurde vielleicht sogar alles nur für die Kamera inszeniert? So authentisch die verwackelten Handy-Clips auch wirken mögen, immer besteht die Möglichkeit, dass im Dienste der Propaganda für die jeweils andere Seite eine Szene absichtlich so für die Kamera aufgeführt wurde.

Ein Experiment zum Experiment

Die interessante metamediale Analyse des Regisseurs besticht vor allem dadurch, dass Alexandrowicz Maia als einzige Versuchsteilnehmer ein zweites Mal zur Medienanalyse einlädt, sechs Monate nach dem ersten Versuch. Nun zeigt er ihr aber nicht nur erneut das schon bekannte Videomaterial, sondern auch die Aufnahmen von ihr, wie sie damals das Material gesichtet hat. Nun kann Maia ihre eigenen Gedanken kommentieren, die sie damals geäußert hat. So entsteht eine Meta-Analyse des medialen Kampfes zwischen Israelis und Palästinensern. Am Ende wird der Versuchsleiter selbst nachdenklich und zeigt sich fasziniert von der sehr kritischen und – wie sie selbst zugibt – pro-israelischen Perspektive Maias.

Mit seinem Film beleuchtet Alexandrowicz die mediale Schlacht, die jederzeit im Internet gefochten wird: um Bilder, Emotionen und den richtigen Blickwinkel. Auf YouTube, Vimeo und Co. heischen kurze Handy-Videos um die Aufmerksamkeit der User. Und jedes Video möchte einen besonderen Aspekt des Nahost-Konflikts aufzeigen.

„The Viewing Booth“ ist damit ein interessanter Beitrag zur Diskussion darüber, inwiefern Bilder und Videos in den Medien unsere Meinung zum Nahost-Konflikt beeinflussen, ja, maßgeblich erst erzeugen. Was die gezeigten Video-Schnipsel angeht, ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse diejenige, die Maia ziemlich bald ausspricht: Sie erzählen nicht die ganze Geschichte. Ohne Kontext wirken martialisch in eine Wohnung eindringende israelische Soldaten auf zuverlässige Weise erschütternd. Doch das Warum, den Grund für den Einsatz im Westjordanland, zeigt so ein wenige Minuten langer Ausschnitt nicht. Warum ein palästinensischer Junge von einem Soldaten weggescheucht wird, erfährt der Zuschauer nicht. Wie auch? Die Handy-Videos erklären nichts, sie schaffen keinen Kontext, sondern sollen ausschließlich das, was Filme am besten können: Emotionen wecken.

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