Manchmal wohnt das Grauen nebenan. So wie im Roman Unterleuten von Juli Zeh, wo die Mitglieder einer Dorfgemeinschaft im tiefsten Brandenburg nach und nach im Kampf um Windräder aufeinander losgehen. So wie im surrealen Lars-von-Trier-Film „Dogville“, in dem ein einsames Dorf in den Bergen langsam aber bestimmt zur Falle jener Frau wird, die dort zunächst Schutz sucht. Und so wie in Terrence Malicks neuem Kunstwerk „Ein verborgenes Leben“, das anders als die anderen beiden Beispiele eine wahre Begebenheit schildert und den Zuschauer mitnimmt in den österreichischen Ort Radegund, ein idyllisches Provinznest inmitten malerischer Berghänge, glücklicher Kühe und dem aufbrechenden Nationalsozialismus unter Adolf Hitler.
Radegund ist die Heimat von Fani und Franz Jägerstätter (Valerie Pachner und August Diehl) – ein Paar wie aus dem Bilderbuch. Dem Kennenlernen auf dem Dorffest folgt die Ehe, der glücklichen Zeit zu zweit folgen drei Kinder, dem beschaulichen Familienleben auf dem eigenen Bauernhof inmitten all jener Menschen, die sie lieben und schätzen, folgt der Absturz in die soziale Ächtung. Denn Franz ist Katholik. Und er meint es ernst mit seinem Glauben. Den Grundwehrdienst absolviert er noch, doch immer stärker drängen Fragen über die Ungerechtigkeit des Hitlerschen Krieges, Richtig und Falsch, Freund und Feind in sein Gewissen.
Hitler, der neue Gott
Um Franz herum verändert sich die Dorfgemeinschaft im aufkeimenden Nazireich der späten 30er Jahre. Der Bürgermeister, eigentlich ein harmloser Trunkenbold, tanzt eines Nachts wie Rumpelstilzchen um ein Lagerfeuer, verdammt arbeitsplatzstehlende Ausländer, die sein Dorf vermutlich nie gesehen hat, und huldigt Hitler, den er wie einen Gott verehrt. Die Dorfkirche, von jeher Mittelpunkt des Provinzlebens, aber auch Herzensort des gläubigen Katholiken Jägerstätter, wird vom Hoffnungsspender zum Raum des Haderns – dann nämlich, als der Protagonist gegenüber dem Pfarrer (Tobias Moretti) erstmals seine Zweifel hinsichtlich der deutschen Welteroberungspläne äußert. Sollte er eingezogen werden, könne er keinen Eid auf Hitler ablegen, erklärt Jägerstätter dem Geistlichen in einer ruhigen Minute. Erster verkörpert mit all seinem Zögern, Abwägen und Kleinbeigeben das größte Problem der Kirche im Dritten Reich: Große Teile ihrer selbst sahen das Übel zwar kommen, waren aber nicht zum Widerstand bereit. „Wir müssen uns dem Bösen entgegenstellen“, sagt Jägerstätter. Der Pfarrer schweigt.
„Dein Opfer würde niemandem nützen“, sagt er schließlich zu Jägerstätter – und meint damit ebenso ihn wie auch sich selbst. Um es noch deutlicher zu machen, zeigt Malick auch noch den für Radegund zuständigen Bischof (Michael Nyqvist). Während er sich darüber beklagt, dass die Glocken der eigenen Kirche zu Munition eingeschmolzen werden sollen, antwortet er auf Jägerstätters Widerstand mit einer Naziformel: „Du trägst Verantwortung deinem Vaterland gegenüber.“ Am Ende sind es nicht die Offiziellen der Kirche, die dem Helden weise Ratschläge erteilen. Es ist der Handwerker in seiner Dorfkirche, der während er Heiligenbilder erneuert darüber sinniert, wie die Menschen sich Jesus Christus zurechtbiegen – als bequeme Figur mit Heiligenschein, die es anzubeten gelte, aber die mit dem echten Leben im Hier und Jetzt nichts zu tun habe. Die Kirche schaffe Bewunderer, nicht aber Nachfolger, mahnt er.
Nachfolgen statt huldigen
Es ist das Schlüsselgespräch des Films, jener Moment, in dem Jägerstätter seine Entscheidung trifft: Nachfolger will er künftig sein. Und dabei geht es ihm nicht um die große Revolution. Er will das System nicht stürzen, wie es ihm später im Film von SS-Offizieren vorgeworfen wird. Sein Kampf macht sich an etwas ungleich Simplerem fest: Seine Überzeugung verbietet Jägerstätter den Eid auf Hitler abzulegen. Eine kleine Geste, die auch den echten Franz Jägerstätter am Ende das Leben kostete. Denn eines Tages erreichte ihn tatsächlich der Einberufungsbefehl. Doch statt die Hand zum Hitlergruß zu erheben und in einer Reihe mit den Kameraden auf den Führer zu schwören, schweigt er in der Kaserne. Am 9. August 1943 wurde der echte Jägerstätter in Brandenburg-Görden von den Nazis umgebracht. Seit 2007 gilt er in der römisch-katholische Kirche als Seliger.
Fromm ist Malicks Film nicht nur deshalb, weil er zum Thema macht, das Christsein mehr ist, als den sonntäglichen Gottesdienst zu besuchen. Er ist es auch, weil er nicht davor zurückschreckt, die Protagonisten Sätze wie „Wir haben Ihn – das reicht“, sagen zu lassen – und zwar ohne, dass es kitschig klingt. Im zweiten, bewusst wesentlich bildschwächeren Teil, arbeitet sich Malick auch einmal mehr an der Hiobschen Frage des Leids ab. Doch statt Fragezeichen setzt er am Ende ein Ausrufezeichen. Er bietet einen Ausweg aus dem Leid, erhebt Jägerstätter, dem die Nazis immer wieder erzählen, niemand werde je von ihm erfahren, zum Helden, der in den letzten Minuten noch andere zu trösten vermag und von dem nun – auch dank dieses Films – die ganze Welt weiß. Selbst im zerstörerisch ideologisierten Dorf deutet Vergebung Malick am Ende an, was die Kraft der Vergebung bewirken kann. Wenn es eine biblische Botschaft braucht, die die Welt damals, aber auch das Europa von heute braucht – dann ist es ja wohl diese.
„Ein verborgenes Leben“, Regie: Terrence Malick, 177 Minuten, Kinostart: 30. Januar