Der amerikanische Psychiater Milton Rokeach hatte eine Idee: Wenn jemand fest davon überzeugt ist, eine bestimmte Person der Weltgeschichte zu sein, und der trifft eine andere Person, die exakt die selbe Person zu sein beansprucht, würde der eine den anderen für einen Schwindler halten. Oder für verrückt. Und vielleicht würde der Patient so auch auf den Gedanken kommen, dass er selbst verrückt sein könnte.
Rokeach wurde inspiriert von einer Geschichte, die etwas ähnliches aus Paris im Jahr 1663 erzählt. Damals lebte ein Mann namens Simon Morin in der französischen Hauptstadt, der sich für Jesus Christus hielt. Er wurde ins Irrenhaus gesteckt, wo er auf einen Mann traf, der sich für Gott hielt. Der französische Philosoph Voltaire schrieb: „Simon Morin war so erschüttert vom Wahnsinn des Anderen, dass er seinen eigenen anerkannte.“
Der Mediziner Rokeach fragte sich, ob man mit dieser Methode eine Wahnvorstellung heilen könne. Und startete ein Experiment. Im Krankenhaus der Stadt Ypsilanti in Michigan lebten gleich zwei Menschen, die sich für Jesus hielten. Rokeach holte einen dritten Jesus hinzu, damit jeder in der Gruppe sehen konnte, wie der jeweils andere auf die Anwesenheit anderer Christusse reagiert.
Am 1. Juli 1959 trafen die drei Männer erstmals aufeinander. Der erste war ein 58-jähriger Mann, der von sich sagte: „Ich heiße Joseph Cassel, und ich bin Gott.“ Der zweite, ein 70-Jähriger, war überzeugt: „Ich heiße Clyde Benson. Ich wurde Gott.“ Und der dritte war ein 38-Jähriger Mann namens Leon Gabor, der behauptete: „Auf meiner Geburtsurkunde steht, dass ich der wiedergeborene Jesus Christus von Nazareth bin.“ Rokeach sorgte zwei Jahre lang dafür, dass die drei im gleichen Zimmer schliefen, die Mahlzeiten gemeinsam einnahmen und an den gleichen Therapiesitzungen teilnahmen.
Ein vierter Gott?
Es zeigte sich, dass jeder der schizophrenen Patienten eine eigene Begründung dafür fand, warum die beiden anderen Gottheiten nicht echt sein konnten. So sagte Cassel etwa, die beiden anderen Patienten seien durch Maschinen ersetzt worden. Benson verdächtigte die beiden anderen, sich aus Prestige-Gründen aufspielen zu wollen. Der dritte, Gabor, brachte ein schlüssiges Argument vor: Die beiden anderen seien ja Insassen einer psychiatrischen Anstalt, daher müssten sie verrückt sein. Er selbst verteilte eine Visitenkarte, auf der stand: „Dr. Domino dominorum et Rex rexarum, Simplis Christianus Puer Mentalis Doktor, Reinkarnation von Jesus Christus aus Nazareth“.
Es kam während des umstrittenen Experiments immer wieder zu Handgreiflichkeiten unter den drei Jesussen sowie zu theologischen Auseinandersetzungen. Doch insgesamt stellte Rokeach fest: Je weniger die drei über das Christussein sprachen, desto besser verstanden sie sich. Wenn doch einmal jemand darauf beharrte, Gott zu sein, wechselten sie lieber das Thema. Offenbar war der Wunsch, friedlich miteinander umzugehen, größer als das Beharren darauf, Jesus zu sein.
Zwei Jahre nach dem Start, am 15. August 1961, brach Rokeach das Experiment ab. Der Psychiater fasste den Fall in dem Buch „The Three Christs of Ypsilanti“ („Die 3 Christusse von Ypsilanti“) zusammen, das 1964 erschien. Zwanzig Jahre später schrieb der Arzt selbstkritisch über das Experiment: „Ich hatte kein Recht, auch nicht im Namen der Wissenschaft, Gott zu spielen und rund um die Uhr ihren Alltag zu stören.“ Der Arzt war unversehens selbst zum vierten „Gott“ in der Runde geworden.
Peter Dinklage als falscher Christus
Nun hat der Regisseur Jon Avnet (der Produzent von „Grüne Tomaten“ und „Black Swan“) die Geschichte auf die Leinwand gebracht. Der Film „Three Christs“ feierte auf dem Toronto Film Festival 2017 Premiere. In die amerikanischen Kinos kommt er im Januar 2020. Ein deutscher Starttermin steht noch nicht fest.
Im Film wird der Psychiater, der hier Dr. Alan Stone heißt, von Golden Globe-Gewinner Richard Gere gespielt. Die drei Christusse werden verkörpert von den Schauspielern Peter Dinklage („Game of Thrones“), Walton Goggins und Bradley Whitford.
Von: Jörn Schumacher