pro: Der Film „Ein Kind wird gesucht“, für den Sie jetzt ausgezeichnet wurden, liegt schon etwas zurück – wie ist Ihre Erinnerung daran?
Heino Ferch: Die entspricht der Auszeichnungsargumentation: Dass die Familie in einer so strenggläubigen Glaubensgemeinschaft gelebt hat und so unglaublich mit diesem Verlust umgegangen ist, war das Beeindruckendste an diesem Film, das mir auch sofort in Erinnerung kommt.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Zum echten Fall Mirco gibt es tonnenweise Material, mit dem sich unsere Autoren Katja Röder und Fred Breinersdorfer beschäftigt haben, ich habe ein Buch gelesen, das Ingo Thiel mit einer Autorin über den Fall geschrieben hat. Da gab es viele Möglichkeiten, sich authentisch auf den Film vorzubereiten. Und ich habe den echten Ingo Thiel getroffen und mich lange mit ihm unterhalten.
Wie haben Sie ihn erlebt?
Ingo Thiel ist etwas älter als ich, ein Ermittlerstar. Mit seinem Buddy Ecki bildet er ein Ermittlerduo, das 99,5 Prozent Aufklärungsquote hat. Ingo Thiel hat eine verschmitzte Fröhlichkeit und eine unglaubliche Ausdauer, Sturheit und Geduld, mit der er die Ermittlungen vorantreibt. Er scheut sich nicht, Hundertschaften zusammenzustellen, die Tausende von millimetergroßen Indizien analysieren – das ist jemand, der in Deutschland seinesgleichen sucht. In seiner Branche ziehen die Leute vor ihm den Hut.
Sie haben sich im Film in ihn hineinversetzt – was treibt einen Ermittler in so einem Fall an?
Bei Thiel ist es der unbedingte Wille zur Aufklärung. Er hat am Anfang, als er die Eltern besucht hat – das war innerhalb von 24 Stunden nach dem Verbrechen –, der Mutter ein Versprechen gegeben: „Wir werden Ihren Jungen finden, tot oder lebendig, das verspreche ich Ihnen.“ Alle haben gesagt: „Bist du wahnsinnig, den Eltern so eine Hoffnung zu machen?“ Der Mann hat einen Instinkt, der ist von einer Sucht angetrieben, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, auch über diese lange Zeit von etwa einem halben Jahr. Der ist ein Spürhund! Für ihre Familien ist das sehr hart, die kommen nur zum Duschen und Klamottenwechseln nach Hause, sind 24 Stunden erreichbar und gehen jedem Hinweis nach. Es ist weniger Mitleid als vielmehr eine große Verpflichtung der Opferfamilie gegenüber: „Wir bringen die Wahrheit ans Licht, damit ihr Ruhe habt.“
Wie sehr identifiziert man sich als Schauspieler mit so einer Rolle und wie sehr muss man sich distanzieren?
Ich kann nur versuchen, jede Szene so authentisch wie möglich in Thiels Sinne darzustellen. Aber natürlich bleibt immer noch ein Rest Heino Ferch übrig. Ich musste da mit professioneller Distanz rangehen, zumal man sich auch – ich bin selbst Vater von drei Kindern – im Griff haben muss und zwischendurch schon schluckt, wenn man merkt, wie willkürlich und zufällig dieser Junge einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
Das, was dem zehnjährigen Mirco passiert ist, ist ja so ziemlich das Schlimmste, was sich Eltern vorstellen können …
Das finde ich auch. Wenn du ein Kind auf diese Weise verlierst … Es war ja reiner Zufall, dass Mirco an diesem frühen Abend mit dem Fahrrad da vorbeigekommen ist und dass er zum Opfer wurde. Wäre es zwei Minuten später gewesen, hätte es vermutlich jemand anderen erwischt. Diese Zufälligkeit und Willkür ist das, was einen sehr wütend und hilflos macht.
Dem Täter zu vergeben – scheint Ihnen das befremdlich oder bewundernswert?
(Überlegt) Ich finde es bewundernswert, wenn eine Familie so einen Weg gehen kann. Keiner von uns weiß, wie er mit so einer Situation umgehen würde.
Die Familie Schlitter war auch einmal am Set bei den Dreharbeiten. Wie war diese Begegnung für Sie?
Das wurde natürlich betreut und begleitet. Wir haben den Film ja einige Jahre nach dem Tod des Jungen gedreht. Die Eltern hatten ihrerseits längst ein Buch veröffentlicht und mit ihrer Geschichte auch in der Form abgeschlossen. Dennoch könnte man denken, da kommen noch immer trauernde Menschen, die emotional stark angespannt sind. Aber das Gegenteil war der Fall. Sie waren sehr aufgeräumt und haben sicher auch aufgrund ihres Glaubens einen Weg gefunden, stabil im Leben weiterzugehen. Das war eine interessante Begegnung.
Ihr Film-Ermittler kann mit Gott und Glauben nicht viel anfangen – wie ist es bei Ihnen?
Ich bin da ganz vorurteilslos und stehe den Dingen offen gegenüber. Ich hatte mit diesem Thema oder dieser Art von Glaubensgemeinschaft vorher nicht wirklich zu tun. Ich war beeindruckt, wie die Familie mit der Situation umgegangen ist.
Beneiden Sie sie um so einen Glauben oder ist es eher nicht Ihr Ding?
Na ja, mein Ding ist es eher nicht. Aber die Familie hat sich so entschieden und das ist schon beeindruckend. Sie haben diesen Weg ja nicht erst eingeschlagen, nachdem der Junge nicht mehr da war, sondern schon vorher. Und dieser Glaube und diese Glaubensgemeinschaft haben die Familie getragen, haben ihnen den Weg geebnet, so zu reagieren. Dass das alles schlimm ist und dass sie sehr gelitten haben, steht ja außer Frage, aber sie haben großes Glück gehabt, dass sie so damit umgehen konnten.
Ist Gott für Sie persönlich mehr ein Begriff oder etwas Reales?
Ach Gott! (Lacht) Ich denke, dass der Glaube helfen kann, wenn man in schwierigen Zeiten ist.
Was haben Sie bei aller professionellen Distanz aus diesem Film für sich mitgenommen?
Vor allem die Dankbarkeit, dass es solche Menschen wie Ingo Thiel gibt, die im Grunde ihr Leben für die Aufklärung von Kriminalfällen opfern, die rund um die Uhr im Einsatz sind und auf diesem extremen Level arbeiten. Ich glaube ganz fest, dass es für eine Familie bei so einem schweren Schicksalsschlag sehr, sehr wichtig ist, final zu wissen: Lebt unser Kind? Und so genau wie möglich zu wissen, was passiert ist. Diese Aufklärungsarbeit kann man denen, die sich mit so einer Aufopferung und Engelsgeduld dafür engagieren, nicht hoch genug anrechnen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Christina Bachmann