Vergebung in New York, mongolischer Feminismus und die erste Homo-Ehe

Jedes Jahr berichtet pro von der Berlinale und rezensiert Filme mit Glaubens- und Kirchenschwerpunkt. Doch auch jene Produktionen, die nicht direkt Glaubensfragen ansprechen, können für Christen spannend sein. Was also lief sonst noch auf dem größten Publikums-Filmfestival? Ein Überblick.
Von Anna Lutz
Für unsere Leser waren wir als pro auf der Berlinale dabei

Wer bei der diesjährigen Berlinale Kirchenthemen suchte, war gut bedient. Allein im Wettbewerb widmeten sich „Grace à Dieu“ und „God exists, her name is Petrunija“ ganz explizit der Kirchenkritik.„Amazing Grace“ wiederum ließ die Zuschauer in den Genuss eines überwiegend gesungenen Gottesdienstes kommen – es ist eine Dokumentation über die erfolgreichste Gospelaufnahme aller Zeiten von Soulkönigin Aretha Franklin. Auch neben dem Wettbewerb setzte das Festival allerhand Glaubensschwerpunkte: „Divino Amor“ erzählt von einer evangelikalen Sekte in Brasilien, „Temblores“ von Homosexuellen-Therapien in Guatemala.

In „The Kindness of Strangers Foto: Per Arnesen
In „The Kindness of Strangers“ treffen sich Clara und Marc und kommen sich näher

Auftakt des Festivals war „The Kindness of Strangers“ von Lone Schwerfig. Der Film erzählt die Geschichte von Fremden, dessen Wege sich in New York kreuzen. Verbindendes Element ist die alleinstehende Alice (Andrea Riseborough), die als Krankenschwester arbeitet und nebenbei eine Selbsthilfegruppe in einer Kirche leitet. Dort lernt sie den gerade aus dem Gefängnis entlassenen Marc (Tahar Rahim) kennen, sie beschäftigt den obdachlosen Jeff (Caleb Landry Jones) und beherbergt die vor ihrem gewalttätigen Mann geflohene Clara (Zoe Kazan).

Am Ende ist der Film eine Geschichte über Vergebung, und das nicht nur, weil die Selbsthilfegruppe so heißt und das Wort entsprechend häufig im Film fällt. Im Mittelpunkt steht Clara, die sich selbst verzeihen muss, weil sie ihre Söhne in Gefahr gebracht hat und zu spät auf die väterlichen Misshandlungen aufmerksam wurde. Und auch Alice muss sich ihre Unnahbarkeit eingestehen und die tiefe Sehnsucht nach einem Menschen, der sie liebt. Denn allein der Dienst am Nächsten, und mag er noch so löblich sein, macht sie nicht glücklich.

Wie wenige Filme auf der Berlinale bietet dieser Schmerz und Freude gleichermaßen – und ist allein deshalb sehenswert. Und dass es ausgerechnet eine kirchlich engagierte Frau ist, von der die im Titel genannte „Freundlichkeit gegenüber Fremden“ ausgeht, ist ein bemerkenswerter Nebenaspekt beim prominent im Programm gesetzten ersten Film der diesjährigen Berlinale, die sich ansonsten eher kirchenkritisch gibt.

Eine Frau allein in der mongolischen Steppe: Das ist Thema des Films „Öndög“ Foto: Wang Quan’an
Eine Frau allein in der mongolischen Steppe: Das ist Thema des Films „Öndög“

Der mongolische Wettbewerbsfilm „Öndög“ von Wang Quan’an erzählt von einer Frau (Dulamjav Enkhtaivan), die allein in der Wildnis der mongolischen Steppe lebt und auf die Hilfe von Männern nur dann zurückgreift, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Als in der Nähe ihrer Behausung ein Mordfall geschieht, verteidigt sie den jungen Polizisten am Tatort vor Wölfen und verführt ihn. Die eindringlichen Ratschläge ihres Freundes, sie solle doch endlich heiraten und Kinder bekommen, ignoriert sie geflissentlich. Die durch ihre langsame Erzählweise und allerhand logische Lücken in der Erzählung zuweilen bizarr anmutende Geschichte ist ein Beispiel für das, was Beobachter 2019 als das eigentliche Thema der Berlinale ausgemacht haben: Starke Frauen – in diesem Fall eine, die alleine auf ihrem Kamel durch eindrückliche Naturkulissen reitet und sich die Männer zu nutze macht, wie es ihr beliebt. Gewöhnungsbedürftig.

Eine Vater-Sohn-Geschichte über die Liebe und das Leid zeigt „Out Stealing Horses Foto: 4 1/2 Film
Eine Vater-Sohn-Geschichte über die Liebe und das Leid zeigt „Out Stealing Horses“

Die Natur ist einer der Hauptdarsteller im Film „Out Stealing Horses“ mit dem norwegischen Star Stellan Skarsgård. Die Vater-Sohn-Geschichte spielt mitten im Nirgendwo zwischen Schweden und Norwegen. Einen Sommer lang leben Vater (Tobias Santelmann) und Sohn (Jon Ranes) in einer Hütte am Fluss, Mutter und Geschwister warten zuhause. Hans Petter Moland lässt in seinem Film, der in Rückblenden erzählt ist, Pflanzen, Tiere und das Wetter lautstark mitreden.

Die aufwühlende Geräuschkulisse ist zu Beginn eindrücklich, der Effekt verfliegt allerdings nach der ersten Stunde und ist ab da eher eine Belastung für den Zuschauer. Doch die Geschichte rund um Vertrauen, Verlust und Verrat stellt existenzielle Fragen nach dem Umgang mit Schicksalsschlägen. Molands Antwort und zugleich das Fazit seines Films spricht auf der Leinwand der Vater aus: „Lass es hinter dir, es bringt dich nicht weiter.“ Christen hätten dem wohl noch einiges zuzufügen. Dennoch lohnt sich „Out Stealing Horses“ – nicht nur wegen der schönen Naturaufnahmen.

Yoav will kein Israeli mehr sein - aber auch in Frankreich hat er es schwer Foto: Guy Ferrandis/SBS Films
Yoav will kein Israeli mehr sein – aber auch in Frankreich hat er es schwer

„Ich bin ausgebrochen“, sagt Hauptfigur Yoav (Tom Mercier) im Wettbewerbsfilm „Synonymes“. Der junge Israeli möchte nichts mehr, als seine Nationalität ablegen. Deshalb ist er nach dem Militärdienst vor seiner Familie und dem Jüdisch-sein nach Paris geflohen und hat seine Muttersprache gegen Französisch eingetauscht. Kein Wort Hebräisch soll ihm mehr über die Lippen kommen. In seinem Rucksack trägt er alles bei sich, was er besitzt – und wird prompt am ersten Tag seines neuen Lebens beim Duschen bestohlen.

Emile (Quentin Dolmaire) und Caroline (Louise Chevillotte) retten ihn vor dem Erfrieren und helfen ihm fortan, sich in der Metropole und in der neuen Kultur zurechtzufinden. Erst nach und nach wird klar, dass die beiden den jungen Mann benutzen, um ihrem ansonsten langweiligen Leben etwas Pepp zu geben – Caroline, indem sie mit ihm eine Affäre beginnt, Emile, indem er seine Geschichten aufschreibt, denn der angehende Schriftsteller selbst bringt selten etwas Spannendes zu Papier.

Regisseur Nadav Lapid, selbst Israeli, macht in seinem Film das Ankommen in einer fremden Kultur zum Thema. Frankreich bietet da einen denkbar spannenden Gegensatz zur Heimat Yoavs. Lapid thematisiert einen französischen Antisemitismus, stellt aber auch die Frage, was Juden eigentlich von einem Land erwarten dürfen, in dem sie leben. Das zeigt sich überspitzt im Verhalten eines geheimnisvollen Freundes von Yoav aus Israel, der in einer Szene durch die Métro randaliert und die Fahrgäste schreiend mit seinem jüdischen Glauben konfrontiert. Niemand reagiert oder ist geschweige denn, interessiert.

In einer anderen Szene erklärt die Lehrerin des Einbürgerungskurses den Integrationswilligen den französischen Laizismus: Kein staatliches Geld gehe in religiöse Belange, dafür aber in die Bildung. „Weil es keine Religion gibt. Weil Gott nicht existiert“, fasst sie das Prinzip zusammen. Weiter weg könnte Frankreich nicht von Israel sein. Yoav aber macht seine Präferenzen klar. Seine alte Heimat ist für ihn dem Tode geweiht. Jeder, der in Frankreich leben darf, soll sich glücklich schätzen. „Synonymes“ ist ein Film, der viele Rätsel aufgibt, dabei aber auf faszinierende Weise zeigt, was Fremdsein eigentlich bedeutet.

Diese beiden schließen in „Elisa und Marcela“ die erste Homo-Ehe weltweit Foto: Netflix
Diese beiden schließen in „Elisa und Marcela“ die erste Homo-Ehe weltweit

„Elisa und Marcela“ (Natalia de Molina, Greta Fernández) ist die wahre Geschichte der ersten gleichgeschlechtlichen Ehe. Im Jahr 1901 lassen sich die zwei Frauen, nach denen der Film benannt ist, von einem Pfarrer trauen. Das geht nur, weil Elisa sich als Mann verkleidet hat. Ihr Versuch, fortan in dieser Tarnung als normales Ehepaar leben zu können, misslingt. Die beiden Frauen haben fortan mit der Justiz, der Kirche und erbosten Nachbarn zu kämpfen.

Der Film ist wohl vor allem wegen des auch heute noch aktuellen Themas in den Berlinale-Wettbewerb gerutscht. Ansonsten überzeugt Isabel Coixets Werk kaum. Es soll zeigen, wie gleichgeschlechtliche Liebe auch von der Kirche unterdrückt wurde und wird – das gelingt. Ansonsten verliert sich der Film in zuckersüßen Dialogen, ausgiebigen Kuscheleien und der ein oder anderen Sexszene. „Elisa und Marela“ langweilt und wirft vor allem eine Frage auf: Wie konnten die beiden Protagonistinnen jemals glauben, sie kämen mit ihrem Betrug durch?

Das Grauen in Person: Serienmörder Fritz Honka Foto: Gordon Timpen 2018/bombero int./Warner Bros. Ent
Das Grauen in Person: Serienmörder Fritz Honka

Die finsterste und sicherlich nicht für jeden zu empfehlende Produktion auf der Berlinale ist in diesem Jahr Fatih Akins „Der goldene Handschuh“, der ab 21. Februar auch für ein breites Publikum im Kino zu sehen ist. Der Film erzählt vom Hamburger Serienmörder Fritz Honka (Jonas Dassler). In den Siebzigerjahren tötete er Frauen, die er überwiegend in einer Kneipe auf der Reeperbahn getroffen hatte, zerstückelte sie und bewahrte Teile der Leichen in seiner Wohnung auf. Akin erzählt seine Geschichte nach Vorbild des Buchs von Heinz Strunk – mit sehr viel schwarzem Humor.

Das Lachen bleibt dem Zuschauer im Halse stecken, wenn er sich vor Augen führt, dass die Gewalttaten keineswegs fiktiv sind, und man darf wohl die Frage stellen, ob die schonungslose Herangehensweise den Opfern gerecht wird. Ausgerechnet die christliche Heilsarmee hat einen filmischen Gastauftritt in „Der goldene Handschuh“. In der gleichnamigen Kneipe verkehrt auch eine Mitarbeiterin der Organisation und versucht, mit den alkoholisierten Gästen Gespräche über den Glauben zu führen. Das sorgt für Lacher im Kino und auf der Leinwand – in letzter Konsequenz aber rettet die Christin einem der potentiellen Opfer Honkas das Leben. Sie bietet der Frau einen Schlafplatz an und geleitet sie aus der Kneipe, bevor der Serienmörder sich ihr wieder zuwenden kann. Ein Lichtblick im ansonsten blutdurchtränkten Film mit bitterbösem Humor.

Von: Anna Lutz

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