Dieser Film basiert auf einer wahren Geschichte: Bischof Carlton Pearson gehörte in den 1990er Jahren zu den einflussreichsten Geistlichen in Amerika. Er beriet Bill Clinton und George Bush senior, seine Predigten in der größten Pfingstgemeinde von Tulsa, Oklahoma, waren Publikumsmagnete im Fernsehen. Hier, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, setzt der Film „Come Sunday“ an: Pearson (Chiwetel Ejiofor, „12 Years a Slave“) ist begeistert vom Evangelium. Auf einer Flugreise beginnt er ein Gespräch mit einer Fremden, an dessen Ende sie ein Gebet mit ihm spricht. Die Szene überblendet in eine Predigt vor der Gemeinde, in der Pearson davon erzählt: „Ich wusste, sie fährt zur Hölle, wenn nichts passiert. Sie wurde nie errettet, war nicht wiedergeboren“, berichtet er, doch dann habe sie ihr Herz geöffnet. Für deutsche Ohren vielleicht ungewohnt martialisch, doch typischer Duktus in Pearsons Umfeld der afroamerikanischen Pfingstbewegung.
Nach dieser Einführung gerät Pearson in eine emotionale Krise, ausgelöst durch den Selbstmord seines Onkels Quincy. Eines Nachts kann er nicht schlafen, und sieht im Fernsehen einen Bericht über den Völkermord in Ruanda 1994. Die Zweifel der vergangenen Tage manifestieren sich nun in einer spirituellen Erfahrung, von der Pearson sonntags darauf predigt. Er schildert ein Streitgespräch, das er im Gebet mit Gott geführt hat, Thema: Wie werden Menschen errettet, wie entscheiden sie sich für Jesus? Und Gott habe ihm gesagt: „Diese Menschen in Afrika, sie müssen nicht errettet werden. Sie sind schon errettet, und ich nehme sie in meine Gegenwart. Sie werden alle bei mir sein, im Himmel.“
Die Gemeindemitglieder schauen sich fragend an, und in den kommenden Tagen laufen in der Kirche die Telefone heiß. Pearsons Assistent Henry (ungewohnt ernst: Jason Segel, „How I Met Your Mother“) ist wütend: „Du gehst auf die Bühne und sagst 6.000 Leuten, dass alles, was sie glauben, und was 2.000 Jahre Geschichte sagen, falsch ist?“
„Dieser Gott ist schlimmer als Hitler“
Pearson braucht Ruhe und sucht sich seinen persönlichen Garten Gethsemane: er schließt sich in einem Motelzimmer ein und studiert in einem abgedunkelten Zimmer die Bibel, schwitzt, flüstert, ringt mit Gott. Er trifft sich mit Oral Roberts (großartig: Martin Sheen), an dessen Universität er einst studierte. Für Roberts, einen der einflussreichsten Evangelikalen der USA im 20. Jahrhundert, ist Pearson wie ein Ziehsohn. „Bist du sicher, dass du Gottes Stimme gehört hast?“, fragt er. „Du weißt, wie der Teufel wirkt, er sagte dir, was du hören wolltest.“
Der nächste Sonntag: Statt zurückzurudern, legt Pearson nach. Jesus sei für jeden gestorben, verkündet er. „Auch Leute, die Jesus nie akzeptiert haben, die nie einen Fuß in eine Kirche gesetzt haben. Jeder ist bereits gerettet.“ Ein Gott, der Milliarden Menschen in die Hölle werfe, sei „ein Monster, schlimmer als Hitler, schlimmer als Saddam Hussein“. Pearson beerdigt damit sein bisheriges Lebenswerk. Seine Kirche wird von Woche zu Woche leerer, muss ihr Gebäude verkaufen. Freunde und Weggefährten distanzieren sich.
Spätestens an dieser Stelle wäre eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung mit der hier propagierten Lehre der Allversöhnung nötig. Klar, die aufgeworfenen Fragen sind berechtigt und werden unter Christen diskutiert: Ist die Hölle in Einklang zu bringen mit unserem Gottesbild? Sagt die Bibel wirklich, dass die Hölle ein Ort der ewigen Strafe ist, oder bedeutet sie einfach nur den ewigen Tod? Oder hat Pearson gar recht, wenn er sagt, dass sowieso alle Menschen in den Himmel kommen?
Argumente gegen Pearsons Thesen werden in Streitgesprächen zuhauf angeführt, und glücklicherweise nicht als lächerlich oder reaktionär verunglimpft. Doch das reicht nicht – eine biblische Nachbereitung des Films ist wichtig. Pearson wirft mit Bibelpassagen aus dem Neuen Testament um sich, die auf den ersten Blick aussagen, dass Jesu Tod für „alle Welt“ gilt, die im Zusammenhang und Gesamtzeugnis der Schrift aber keine überzeugenden Indizien dafür darstellen. Nicht aufgegriffen werden die zahlreichen Stellen in den Evangelien, an denen Jesus selbst vor der Hölle warnt.
Bei Carlton Pearson zeigt sich, was auch was auch bei postmodern geprägten Menschen manchmal zu beobachten ist: Weil ein Einzelner etwas nicht glauben möchte oder glauben kann, revidiert er seine Theologie. Dabei geht es weniger um Wahrheitssuche, als um persönliche Sentimentalität. „Neue“ Lehren und Erkenntnisse, die dabei entstehen, sind oft nur altbekannte Irrlehren in modernem Gewand, analysiert ein Artikel, der sich auch mit dem Film befasst.
Und so kommt es auch, dass Bischof Pearson am Ende in einer post-christlichen Sondergemeinschaft landet, der „All Souls Unitarian Church“, die sich zum unitarischen Universalismus zählt. Neben dem Gericht Gottes wird hier auch die Lehre der Trinität abgelehnt, Teile der Gemeinschaft praktizieren Synkretismus, also die Vermischung mit anderen Religionen. Damit hat der einstige Bischof den Boden dessen, was als Pluralismus innerhalb der christlichen Kirche möglich ist, verlassen.
„Come Sunday“, 105 Minuten, frei ab zwölf Jahren. In Deutschland zu sehen bei Netflix.
Einen praktischen Einstieg in das Thema Hölle bietet das Buch „Hölle light“ der Pastoren Francis Chan und Preston Sprinkle. Erschienen bei Gerth Medien, ISBN 9783865916693. Einen umfangreicheren, akademischeren Einblick über den Diskurs zu Hölle gibt das Buch „Hölle. Der Blick in den Abgrund“ von Carsten Schmelzer. Erschienen bei SCM R. Brockhaus, ISBN 9783417264920.
Von: Moritz Breckner