Fortuna (Kidist Siyum Beza) ist 14 Jahre alt, in den falschen Mann verliebt und glaubt, dass sie niemand versteht. Das klingt nach einer Teenagergeschichte, wie es viele gibt. Doch das afrikanische Mädchen ist keines wie jedes andere. Sie ist auf einem Flüchtlingsboot in die Schweiz gekommen. Ihr Geliebter ist gewalttätig und mindestens doppelt so alt wie sie selbst. Sie ist schwanger. Und sie lebt unter Kirchenasyl in einem Kloster mitten in den Schweizer Bergen.
Das ist das Setting des Films von Regisseur Germinal Roaux, der sich bildgewaltig und zugleich außergewöhnlich sanft den Schwierigkeiten eines geflüchteten Kindes widmet. Ein weiteres Schlaglicht wirft er auf die Frage, ob es denn eigentlich Christenpflicht ist, Menschen in Not zu helfen. Denn während Fortuna, die gemeinsam mit Dutzenden anderer Flüchtlinge in dem Kloster mitten im verschneiten Gebirge lebt, sich ganz ihrem Liebeskummer hingibt, streiten die Mönche der Kommunität darüber, ob sie all den Menschen weiterhin Obdach gewähren sollten.
„Opfern, was uns am wichtigsten ist“
Nachdem die Polizei Kontrollen durchgeführt und dabei einen Mann ohne gültige Papiere inhaftiert hat, fürchten einige der frommen Brüder, sie seien der Aufgabe nicht länger gewachsen. Andere sorgen sich um die Ruhe in ihrem Zuhause, das ihnen ja eigentlich die Chance bieten sollte, Gott zu begegnen. Zwischen Polizeieinsatz und Suppenküchen- sowie Kleiderkammerbetrieb sei das nicht mehr möglich, argumentieren sie.
„Sind wir bereit, etwas zu opfern, das uns am wichtigsten ist?“, fragt Bruder Jean, gespielt von Bruno Ganz, und gibt das Thema damit auch an sein deutsches Publikum weiter: Wer ist im Zuge der Flüchtlingskrise bereit, Routinen aufzugeben, sich zu engagieren für die Ärmsten und damit zu leben, dass fremde Kulturen nebenan einziehen und die Heimat verändern? Im Film etwa halten die Muslime unter den Flüchtlingen im Dachboden ihre Gebetsriten ab.
Verweis auf die Bibel
Bruder Jean verweist im Film auf das Matthäusevangelium. Dort bezeichnet sich Jesus selbst als einen der Ärmsten und ruft zur Hilfe auf: „Denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen.“
Die Mönche entscheiden sich dafür, das Kirchenasyl fortzusetzen. Fortuna flüchtet sich ins Gebet. Immer wieder bittet sie Gott und Maria darum, die Last von ihr zu nehmen, ihre verschollenen Eltern zu retten und ihren Geliebten zu ihr zurückzubringen. „Mir hört Gott nicht zu. Er hilft mir nicht“, klagt sie einmal. Als ein Sozialarbeiter sie zu einer Abtreibung überreden will, lehnt sie ab. Wieder ist es Bruder Jean, der zum moralischen Anker wird, als er im Gespräch mit dem Mann dafür wirbt, Fortuna selbst die Entscheidung über ihr Kind zu überlassen.
Grausame Schönheit in Schwaz-Weiß
Der Film „Fortuna“ zeigt die Kirche als das, was sie eigentlich sein sollte: Eine moralische Instanz, gefüllt mit Menschen, die helfen, streiten, irren, beten und vor allem Gott suchen. Ausführlich widmet sich Roaux deshalb auch den liturgischen Abläufen im Kloster. Er zeigt die Männer beim Gebet und bei der Bibellesung, beim Kerzen entzünden und beim Segnen des Essens. Das verleiht dem schwierigen und nicht nur in Deutschland populistisch besetzten Thema Flüchtlingskrise eine selten gewordene Würde. Dazu tragen auch die ästhetischen ausschließlich in Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder bei, die der einstige Fotograf Roaux verwendet. Er zeigt nicht das Flüchtlingsboot, auf dem Fortuna floh, aber in langen Sequenzen das Wasser des Meeres, das sie nach Europa gebracht hat. Den Regen, die Tränen, den Schnee – selten waren grausame Gewalten so schön anzusehen.
Von: Anna Lutz