Zwei Bibelzitate leiten den Film „Schwester Weiß“ ein. Und beide entstammen dem Psalm 42: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach dir“ sowie „Wie ein Stechen in meinen Gliedern ist für mich der Hohn der Bedränger; denn sie rufen mir ständig zu: ‚Wo ist nun dein Gott?‘“ Es sind die Leitmotive, die die zwei Hauptpersonen beschäftigen.
Der Konflikt zwischen Martha (Zeljka Preksavec) und Helene (Lisa Martinek) schwelt schon lange: Hier die fromme Ordensschwester, die ihr Leben Gott gewidmet hat und „alles richtig machen will“, wie sie immer wieder seufzt, dort die moderne, „wildere“ junge Frau, die mit dem christlichen Glauben nichts anfangen kann. Ein Autounfall nimmt Helene ihren Mann und ihre Tochter.
Doch ein weiterer Schicksalsschlag verändert die Situation drastisch: Helene hat durch den Unfall ihr Gedächtnis verloren – und weiß deswegen auch nichts mehr von ihrer früheren anti-christlichen Einstellung. Schwester Martha ist nun versucht: Die ehemals atheistische Helene kommt erst einmal im Kloster unter, und die Tochter soll ein christliches Begräbnis auf dem Klosterfriedhof bekommen, so einfach ist das.
In einer weiteren Rolle ist Beatrice Richter zu sehen, die in den 80er Jahren an der Seite von Rudi Carrell und Diether Krebs öfter als Komödiantin im Fernsehen auftrat. Sie spielt Dolores, Mutter des verstorbenen Ehemannes von Helene. Sie ist vehement dagegen, dass Helenes Tochter christlich bestattet wird.
Tiefster Winter im Inneren und außen
Anfangs ist der innere Konflikt der Ordensschwester Martha für den Zuschauer nicht ganz nachvollziehbar: Warum kümmert es sie so sehr, dass die Tochter ihrer Schwester ein christliches Begräbnis bekommt? Warum ist sie sogar bereit, ihre christlichen Werte dafür aufzugeben und Menschen anzulügen?
Doch dann wird allmählich klar, wo das Problem liegt, und damit bekommt der Film dann auch seine Tiefe: Schwester Marthas vordergründig christliche Denkweise ist in Wirklichkeit kleinkariert und egoistisch. Ihre Schwester, welche die Welt nach der Amnesie in kindlich-naiver Art ganz neu entdecken muss, stellt am Ende die eine Frage, die dem einen oder anderen Zuschauer schon seit längerem im Kopf herumschwirrte: Was macht es eigentlich für einen Unterschied für Gott, wo jemand beerdigt wurde? „Wenn jemand im Urlaub im Meer ertrinkt, und nicht auf einem christlichen Friedhof beerdigt werden konnte, schickt Gott ihn dann in die Hölle?“ Schwester Martha muss zugeben: Nein. Gott entscheidet ohnehin bei jedem Menschen individuell, ob er ihn im Himmel haben möchte oder nicht.
Der Film wurde im winterlichen Ellwangen im Schwäbischen und auf Schwäbisch gedreht. Der Regisseur Dennis Todorovic wuchs selbst in dieser Gegend auf. Als Kloster diente die Franziskanerinnen-Kommunität der Anna-Schwestern in Ellwangen. Die schauspielerische Leistung bricht nur manchmal in den Nebenrollen weg, doch insgesamt funktioniert das Kammerspiel dank der top besetzten Hauptrollen prima.
Der Film dreht sich um Trauer, Glauben und Vergebung und trifft dabei auf sensible Weise einen Punkt, der jeden Christen angeht. Im Grund ist Marthas Glaube geprägt von Egoismus: Ihre Religiosität lässt nur zu, was sie selbst für richtig vor Gott erachtet. Andere Menschen, ihre Wünsche und Fragen geraten dort sehr schnell ins Hintertreffen, wo religiöse Menschen unter Biegen und Brechen ihre Gesetzlichkeit durchdrücken wollen, und sei es auch unter einem frommen Vorzeichen.
Schwester Martha muss erkennen, dass sie sich noch so viel anstrengen kann, um Gott alles recht zu machen, sie lechzt weiter nach Gottes Liebe „wie der Hirsch nach frischem Wasser“. Und wenn Atheisten sie wie den Psalmisten höhnisch fragen: „Wo ist nun dein Gott?“, dann ist sie nicht verantwortlich dafür, Gott zu beweisen. (pro)
Schwester Weiß, 100 Minuten, ohne Altersbegrenzung, seit 20. Oktober in ausgewählten Kinos
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