Im Berlinale-Wettbewerbsfilm „El Club“ wohnen vier Priester in einer WG auf dem Land. Die Kirche hat sie ausgesondert und abgestellt. Denn sie alle sind Verbrecher. Eine Filmkritik von Anna Lutz
Von PRO
Foto: Fabula
Priester im Nebel: Weil sie Verbrechen begangen haben, hat ihre Kirche sie ausgesondert
Es ist gewiss keine Party-WG, in der eine Gruppe von Priestern in Pablo Larrains chilenischem Drama „El Club“ lebt. Die vier Männer haben sich ihren Wohnort nicht ausgesucht. Ihre Kirche hat sie in die Provinz verfrachtet, weil sie nicht weiß, was sie sonst mit ihnen tun soll. Denn die gealterten Geistlichen sind Kinderschänder, Beichtgeheimnisverräter, Kindesentführer oder einfach nur homosexuell. Anstatt sie vor Gericht zu stellen oder auszuschließen, steckt die Katholische Kirche sie in eine unheilvolle Wohngemeinschaft, deren Tagesablauf aus Beten, Singen, Beichten und gelegentlichen Spaziergängen besteht. Und es gibt weitere Regeln: Selbstkasteiung ist verboten, ebenso der Besuch des nahegelegenen Dorfzentrums außerhalb festgelegter Zeiten. Bei den örtlichen Hunderennen schicken die vier Männer gelegentlich einen eigenen Vierbeiner an den Start – das ist aber auch schon ihre einzige Freude.
Das ist das Setting des finsteren Berlinale-Beitrags, der neben den großen Filmen und Namen unscheinbar daher kommt. Das jedoch gilt nur auf den ersten Blick, denn das Werk hat nicht nur eine bissige Pointe. Es spielt auch gekonnt mit der Kamera und erzählt eine Geschichte, die weltweit nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet ist: Die vom Kindesmissbrauch durch katholische Würdenträger.
Alles beginnt mit einem Suizid
Um das eigentlich grauenvolle Thema deutlich zu machen, beginnt Larrains Film mit einem Suizid. Ein Neuzugang soll in die WG einziehen. Der aber kommt nicht allein. Vor dem Haus läuft ein brüllender und offensichtlich verwirrter Mann auf und ab, der lautstark von den sexuellen Ausschweifungen berichtet, zu denen er als Kind von jenem Neuankömmling gezwungen wurde. Die Priester lauschen eine Weile hilflos, schließlich schicken die den Neuen mit einer Pistole vor die Tür, um den Schreihals „ein bisschen zu erschrecken“ und so zum Schweigen zu bringen. Eine wahrlich schlechte Idee, denn der Bewaffnete entscheidet sich spontan dazu, sich selbst umzubringen statt sein Opfer zu verjagen.
Während die WG-Bewohner für den Toten in ihrem Vorgarten beten und der weibliche Hausengel, eine ehemalige Nonne, das Blut wegputzt, entsendet die Kirche einen Seelsorger, der den Todesfall untersuchen soll. Schnell stellt sich heraus, dass diesem jegliches Mitgefühl für die Alten abgeht und er im Grunde nur eines will: Das Haus schließen und die Männer ihrem Schicksal ohne den Schutz der Kirche überlassen.
Verbrechen im Nebel
Larrain spart in seinem Film nicht mit detaillierten Beschreibungen dessen, was Priester weltweit Kindern angetan haben und ihnen noch immer antun. Diese sicher notwendige Drastik der Sprache kombiniert er mit einem immerzu schummrigen Licht. Gelegentlich liegt die Szenerie in einem nebligen Dunst, der Sinnbild für die Verschleierung der Kirche ist. Dennoch kommen dem Zuschauer die gläubigen Verbrecher erstaunlich nah, und das ganz ohne ein Gefühl der Abscheu.
Am eindrücklichsten aber bleibt jener Charakter in Erinnerung, mit dem die Geschichte eigentlich erst Fahrt aufnimmt. Jenem Mann, der zu Beginn um das Haus der Priester trampelt und ihre Verbrechen in die Welt hinaus ruft. Ein kleines Stück seines Weges begleitet Larrain auch ihn, zeigt, wie er an den körperlichen Qualen seiner Kindheit zerbrochen ist, weder im Stande, eine Liebesbeziehung aufzubauen, noch dazu, seinen Peiniger von damals zu hassen oder ihm zu vergeben.
Die ökumenische Jury, die bei jeder Berlinale ebenfalls einen Preis an einen Wettbewerbsfilm vergibt, wird sich diesen Beitrag ganz genau ansehen. Denn seit Beginn der Aufdeckung solcher Missbrauchsfälle in Deutschland sind zwar fünf Jahre vergangen. Betroffene klagen aber bis heute und zuletzt Ende Januar in der Berliner Bundespressekonferenz darüber, dass die katholische Kirche die Taten zahlreicher Mitarbeiter nach wie vor verschleppt. Allein deshalb ist anzunehmen, dass ein Film mit diesem Thema bei einem deutschen Filmfestival eine Würdigung erfährt. (pro)
„El Club“, 98 Minuten, Chile 2015
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