Als Reporter muss ich nach manchen Geschichten oft lange suchen, mich dafür in abgelegenen Winkeln des Himalaya und des Hindukusch herumtreiben, ganz zu schweigen von den oft noch schwerer zugänglichen Hinterzimmern der deutschen Hauptstadtpolitik.
Aber manche Geschichten liegen buchstäblich auf der Straße. In meinem Fall ist mir der größte Scoop sogar in die Wiege gelegt worden. Schließlich bin ich Pfarrerssohn, nach dem mutmaßlich ersten Evangelisten benannt und dazu gelernter Historiker, also darin geübt, Spurensuche in der Vergangenheit anzustellen.
Davon abgehalten, die größte Geschichte aller Zeiten neu zu recherchieren, hat mich nicht zuletzt die Konkurrenz. Jesus ist die meistbeschriebene Persönlichkeit überhaupt. Wenn der biblische „Prediger“ seufzt: „Es ist kein Ende des vielen Bücherschreibens“, trifft das auf die Jesus-Literatur ganz besonders zu. Das Thema ist erschöpfend behandelt.
Dachte ich.
Doch allmählich ist mir bewusst geworden, dass Kirche und Wissenschaft längst nicht fertig sind mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen, ja, dass sie ihn chronisch unter Wert verkaufen: als mythisch verklärte Religionsfigur, die fromme Gemüter tröstet, aber sich der kritischen Vernunft weitgehend entzieht.
Den konkreten Anlass, mich intensiv mit Jesus zu beschäftigen, hat mir vor sieben Jahren ein Buch geliefert, das zeigte, wie man es besser nicht macht: „Zelot: Jesus von Nazareth und seine Zeit“. Der iranisch-amerikanische Autor Reza Aslan, Ex-Muslim, Ex-Christ, nunmehr Pantheist, schildert Jesus darin als gescheiterten Freiheitskämpfer. Die Idee ist uralt, die Faktenbasis hauchdünn. Das Buch schoss trotzdem an die Spitzen der Bestsellerlisten. Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Ich dachte an ein kleines Büchlein, hundert Seiten lang.
Aber in den folgenden Jahren wuchs der Stoff – und mir am Ende beinahe über den Kopf. Erst wollte ich nur Jesu Leben nacherzählen. Dann wollte ich es in die Zeitumstände einbetten, schließlich in die Weltgeschichte insgesamt. Denn man kann das Wirken eines Menschen unmöglich beurteilen, wenn man nicht die Folgen in Augenschein nimmt. Im Fall von Jesus ist das nichts weniger als die Transformation der Welt – vor allem im kulturellen und karitativen Bereich.
Solide historische Basis
Wie bin ich bei meiner Recherche vorgegangen? Nicht anders, als wenn ich über ein Attentat oder ein Erdbeben berichte. Ich suche Quellen, sammle Informationen, ordne sie und bereite sie neu auf.
Ich war erstaunt, wie viele mir bis dato völlig unbekannte Informationen ich gefunden habe. In Abwandlung des Karl Valentin zugeschriebenen Bonmots „Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von jedem“ lautet mein Fazit: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von Jesus.
In den vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche Inschriften und Papyrusfetzen aufgetaucht, die interessante Schlaglichter auf Jesus und seine Zeit werfen. Hinzu kommen neue Geschichtsdarstellungen über den alten Orient und den antiken Mittelmeerraum, die frische Perspektiven eröffnen.
Meine vielleicht wichtigste Entdeckung ist die solide historische Basis, auf der der Glaube an Jesus steht. Er gehört zu den Personen seiner Zeit, über die wir am umfassendsten informiert sind: vor allem durch 27 Schriften seiner Anhänger, die innerhalb der ersten zwei Generationen nach dem Ende seiner Erden-Mission verfasst wurden. Außerdem durch die Erwähnung in einigen nichtchristlichen Schriften, durch die seine Existenz und sein Tod bestätigt werden, genau wie der Glaube der Jünger an seine Auferstehung. Viele Personen, Orte und Daten, die in den Evangelien auftauchen, kommen auch in zeitgenössischen Quellen vor. Und schließlich vermitteln Autoren wie Philo, Josephus, Nikolaus von Damaskus, Tacitus, Sueton, Cassius Dio, Strabon, Plinius, Seneca, Petronius oder Ovid umfassende Kenntnisse über das, was sonst noch im ersten Jahrhundert passierte.
„Dies ist nicht in einem abgelegenen Winkel passiert“, bekräftigte der Apostel Paulus in einem Verhör, das in der Apostelgeschichte, Kapitel 26, geschildert wird. Das Leben Jesu fand im Scheinwerferlicht der Geschichte statt. Die göttliche Intervention, die den Namen „Jesus“ trägt, ereignete sich nicht an einem beliebigen Ort zu einer beliebigen Zeit. Jesus kam buchstäblich in der Mitte der Welt zur Welt: am Schnittpunkt zwischen Asien, Afrika und Europa. Sein irdisches Leben fällt in die Mitte der Zeit, ungefähr auf halber Strecke zwischen der ersten Gottesoffenbarung gegenüber Abraham und dem 21. Jahrhundert.
Aus dem Staunen nicht herausgekommen
Logischerweise gibt es von Jesus keine Filmaufnahmen und Audio-Mitschnitte, genauso wenig wie vom römischen Kaiser Augustus. Viele der Informationen, die wir über den Imperator haben, sind allerdings mit noch größerem Abstand zu den Ereignissen geschrieben worden als bei Jesus. Besonders krass fällt der Vergleich zu anderen religiösen Führungsfiguren aus. Was wir über Mohammed wissen, stammt größtenteils aus einer Biographie, die 150 bis 200 Jahre nach seinem Tod in Umlauf kam. Bei Buddha lag zwischen dem Leben des „Erleuchteten“ und den Berichten darüber mehr als ein halbes Jahrtausend. Bei den Anfängen des Islam und des Buddhismus stochern wir tatsächlich im historischen Nebel. Bei Jesus stehen wir auf ziemlich solidem Faktenboden.
Während ich am Anfang meiner Recherche noch insgeheim die Befürchtung hatte, mich im Angesicht der Tatsachen von liebgewordenen Glaubensinhalten verabschieden zu müssen, kann ich nun feststellen, dass das Gegenteil eingetreten ist. Ich bin aus dem Staunen über das Wunder der Menschwerdung Gottes nicht herausgekommen. Mehr denn je ist Jesus für mich weit mehr als nur die faszinierendste Figur der Welt. Er ist, so durchgeknallt das klingt, die Lösung aller ihrer Probleme. Präziser formuliert: die Erlösung.
Wenn ich aus den mehr als 1.000 Seiten, die mein Buch nun umfasst, eine Essenz destillieren müsste, dann wäre es der Ausruf des römischen Hauptmannes am Kreuz: „Tatsächlich – dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen.“ Nur das „gewesen“ würde ich streichen. Jesus lebt, regiert, rettet. Das ist das Ergebnis meiner Nachforschungen. Mehr Reporterglück geht nicht.
Von: Markus Spieker
Markus Spieker, geboren 1970, war zwölf Jahre Haupstadtkorrespondent für die ARD, von 2015 bis 2018 leitete er das ARD-Studio Südasien. Heute ist er als Chefeporter für den Sender in Deutschland unterwegs. Er hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. „Jesus. Eine Weltgeschichte“ erscheint am 11. September bei Fontis, 1.004 Seiten, 30 Euro, ISBN 9783038481881
Dieser Text erschien zuerst in Ausgabe 4/2020 des Christlichen Medienmagazins pro. Die pro können Sie hier bestellen.
Eine Antwort
Ein Buch das ich mit großem Interesse lese, das Leben Jesu erscheint plastisch und die Gleichnisse und Wunder erscheinen teilweise in einem neuen Licht. Ich freue mich aufhielt Seiten die noch vor mir liegen. An einem Punkt jedoch scheint sich der Autor vergaloppiert zu haben, bei der Zahl der Tempelangestellten erscheint mir 20000 bei einer Gesamteinwohnerzahl von 30-40000 doch sehr hochgegriffen. Zu den Zeiten der großen Feste wird eine Zahl von ca. 80000 Menschen in Jerusalem angenommen.