Wer sich auch nur ein wenig mit Medienwissenschaft oder Kommunikationspsychologie befasst hat, wird ihre Namen kennen: Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, und Friedemann Schulz von Thun, bis 2009 Professor für Psychologie an der Universität Hamburg, sind ausgewiesene Experten, wenn es um den sprachlichen Umgang zwischen Menschen und den medialen Auftritt geht.
In ihrem Buch „Die Kunst des Miteinander-Redens“ loten sie einen „kommunikativen Klimawandel“ aus. In Form eines Dialogs miteinander referieren die beiden darüber, wie sich die Kommunikation durch das Internet verschärft hat und inwiefern ihre „Ethik des Miteinander-Redens“, die von Empathie und Wertschätzung geprägt ist, Abkühlung schaffen kann. In Zeiten der heftigen öffentlichen Debatten, die in immer engeren Kreisen durch Medien wirbeln, von Shitstorms und Morddrohungen, ein wichtiges und notwendiges Buch.
Pörksen und von Thun, von denen der eine das Vorwort und der andere das Nachwort verfasst hat, machen in der Tat eine „Diskursverwilderung“ aus. Aber sind daran eventuell einzelne Akteure (beispielsweise Donald Trump) schuld, oder gehen mittlerweile alle ein wenig ruppiger miteinander um? „Nicht einmal Trump, die Verkörperung des pöbelnden Populisten, verändert das Kommunikationsklima im Alleingang“, schreibt Pörksen. „Er profitiert vielmehr von einer radikal veränderten Medienwelt und ist der Gewinner eines Dramas, das lange vor seiner Präsidentschaft begonnen hat und das sich in unterschiedlichen, eng miteinander verwobenen Entwicklungen entfaltet.“
Fake News beliebter als Fakten
Die beiden Urgesteine der Kommunikationsforschung bewegen sich zwischen bekannten und bereits vielfach zitierten Erkenntnissen der Medienforschung und ganz neuen Studien. So zitieren sie häufig aus dem bereits 1983 veröffentlichten Standardwerk „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick, was manchmal etwas abgedroschen wirkt; gleichzeitig ist es lehrreich, bei diesem Gespräch zwischen zwei hochkarätigen Medienexperten Mäuschen spielen zu dürfen.
Allgemeinplätze („Heute ist jeder – potenziell – ein Sender“) wechseln sich mit originellen Tipps im Umgang mit den Medien ab. „Das Innovationstempo ist selbst ein Treiber des kommunikativen Klimawandels, weil sich die disruptiven Veränderungen so rasch vollziehen und die neue Medienwelt mit großer Wucht und Geschwindigkeit auf den Menschen prallt, der im Gehäuse von Tradition und Evolution unvermeidlich behäbig reagiert“, schreibt Pörksen. „Mit Twitter, Facebook und YouTube, mit Instagram, Snapchat und WhatsApp ändern sich die Symbole, mit denen wir uns austauschen, die Inhalte, über die wir sprechen.“
Die beiden Experten geben Antworten auf Fragen wie: „Gilt es, mit Trump-Anhängern, Brexit-Befürwortern und Pegida-Freunden zu reden, sich mit FPÖ-Politikern und Orban-Verteidigern zu streiten, die Abgeordneten der AfD und die alten und neuen Rechten in Gespräche zu verwickeln?“ Ihre Antwort: „Es ist in einer liberalen Demokratie unbedingt geboten, mit Andersdenkenden zu sprechen, allerdings nicht immer und unter allen Umständen. Es gilt, auch das wird deutlich, ihre Ideen und Vorstellungen erst einmal zu verstehen und je nach Situation und eigener Rolle das Wagnis des kommunikativen Brückenbaus einzugehen.“
„Du sollst nicht vorschnell generalisieren!“
Sie zitieren aktuelle Studien, denen zufolge sich Fake News sechsmal schneller bei Twitter ausbreiten als faktisch korrekte Nachrichten. Falsche Informationen werden 70 Prozent häufiger geteilt als sachlich korrekte Nachrichten, besagt eine Studie des MIT. Sie raten: „Wer den anderen Menschen als ein Individuum sieht und ihn nicht in einer Klischee-Schublade wegsperrt (weißer alter Mann, krimineller Flüchtling, hysterische Feministin, frustrierter Ostdeutscher et cetera), wer seine eigenen Erzählungen von der Welt mit möglichst verschiedenen Farben und einer Fülle von Nuancen gestaltet, sie komplexer und vielfältiger anlegt, der kann sein Gegenüber nicht hassen. Das Gebot der Stunde lautet daher: ‚Du sollst nicht vorschnell generalisieren!‘ Erst einmal abwarten. Luft holen. Das Gespräch suchen.“
Insofern beinhaltet „Die Kunst des Miteinander-Redens“ zwar vieles bereits Bekanntes; die Autoren greifen Skandale auf, die schon ausführlich analysiert wurden, etwa die um Christian Wulff, Margot Käßmann oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Durch die konkreten Antworten auf Fragen zum Medienwandel erhält das Buch jedoch seinen Reiz. Vielleicht tun wir alle etwas gegen den kommunikativen Klimawandel, wenn wir abkühlend reagieren bei der Online-Kommunikation. Tipps der Autoren wie dieser könnten dabei helfen: „Es ist die verbreitete Gleichsetzung von Standpunkt und Person, die es so schwer macht, der Abwertungsspirale zu entkommen. Nach dem Motto: ‚Was du von dir gibst, ist derart idiotisch, dass es nur von einem Idioten kommen kann!‘ Wenn man hingegen zu verstehen gibt: ‚Du bist ein ehrenwerter Kerl, nur diese Meinung, die du da vertrittst, die erscheint mir falsch und verheerend‘“. Ganz nach dem englischen Sprichwort: „Kick the ball and not the player!“