Viele Menschen kämpfen um ihre Würde. Was das für die Gesellschaft bedeutet, thematisiert der Moderator und Journalist Michael Steinbrecher in dem Buch „Der Kampf um die Würde: Was wir vom wahren Leben lernen können“. Es ist im Herder-Verlag erschienen. Der Autor benennt darin unterschiedliche Ursachen, warum Menschen ihre Würde verlieren können: durch beruflichen Abstieg, soziale Ungleichheit oder Menschenhandel.
Für ihn gehören die Themen der Menschen in die öffentliche Debatte. Steinbrecher möchte vermeiden, dass Menschen zum Objekt degradiert werden. Der Mensch habe Würde verdient: während seines Lebens und im Sterben. Der Autor macht deutlich, dass nicht alle Mensch gleiche Chancen haben, um ihre Ziele zu verwirklichen. Vor allem für junge Menschen aus armen Elternhäusern sei der soziale Aufstieg enorm schwer. Steinbrecher plädiert für neue Bildungskonzepte, weg vom „Frontalunterricht von vor 200 Jahren“.
Selbstachtung verloren
Steinbrecher stellt eine Alleinerziehende mit vier Kindern vor, die an Krebs erkrankt ist und weiter um ihre Würde kämpft. Er hat Menschen getroffen, die in die Schweiz fahren wollen, um zu sterben. Und er stellt eine Rentnerin mit Mitte 70 vor, die auch in diesem Alter noch Taxi fahren muss, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Viele von ihnen haben ihre Selbstachtung verloren, merkt er an.
Steinbrecher möchte mit seinem Buch eine sachliche Diskussion über soziale Not anstoßen. Die Gesellschaft sollte nicht die Schwachen gegeneinander ausspielen, sondern auch ihnen Achtung entgegenbringen, wünscht sich der Autor. Die Politik sei hier oft zu weit weg von der Lebensrealität der Menschen. Arbeitern im Niedriglohnsektor und Zwangsprostituierten fehle eine entsprechende Lobby. Sie hätten Angst davor, zur Ware zu verkommen.
Vereinsamung hat fatale Folgen für Körper und Geist
Steinbrecher befürchtet, dass die große Welle der Altersarmut noch bevorsteht. Für viele Ältere beginne mit dem Renteneintritt der soziale Abstieg. Wenn Menschen einsam sind, koste dies die Gesellschaft viel Geld. Steinbrecher verweist auf den Wissenschaftler Manfred Spitzer, der fatale körperliche und seelische Folgen durch eine Vereinsamung befürchtet. Hobbys und Gemeinschaft seien wichtig, um die Einsamkeit einzudämmen. Würdelos ist für Steinbrecher die Situation in vielen Pflegeheimen. Die Zitate von Pflegekräften im Buch sollen aufrütteln. Die Pflegekräfte wünschen sich angemessene Gehälter, und dass der Patient über dem Profit der Einrichtung stehe. Keiner dürfe sterben, weil dem Personal Zeit fehle.
Den größten Teil des Buches nimmt die Würde am Lebensende ein. Steinbrecher präsentiert Menschen wie Muri Miyanyedi, die selbst über den Zeitpunkt ihres Todes entscheiden möchte. Eine Befragte moniert, dass die Menschen nicht einmal Haustiere so leiden ließen, wie manche Menschen. Die Pfarrerin Elisabeth Kunze-Wünsch betrachtet das Leben als Geschenk und nicht als Besitz, „und das möchte ich gerne auch bis zum Schluss auskosten und nicht von mir aus beenden“.
Zerreißprobe selbstbestimmtes Sterben
Steinbrecher thematisiert hier ethische und juristische Grenzbereiche. Viele ältere Menschen wollten ihrem Umfeld Leid ersparen. Der Autor hofft, dass sich kranke Menschen nicht für eine Selbsttötung entscheiden, weil sie sich unter Druck fühlten. Steinbrecher möchte niemanden verurteilen für dessen Umgang mit der Frage: „Beide Seiten haben schlüssige ethische Argumente.“
Der 54-jährige Journalist ist nicht nur Fernsehmoderator, sondern auch Professor für Fernseh- und Videojournalismus. Auf einigen Seiten beschäftigt er sich mit der Rolle der Medien. Er fragt, ob lokale zu sehr von überregionalen Medien beeinflusst würden. Zudem stellt er zur Debatte, ob Journalisten immer seltener den Mut hätten, unpopuläre Positionen pointiert zu vertreten. Auch Medien müssten transparent agieren. Zudem brauche es eine Lobby für Themen und Meinungen, die wichtig seien und Lösungen bräuchten.
Steinbrecher kommt am Ende des Buches zu dem Ergebnis, dass sich Menschenwürde nicht über eine reine Betrachtung von Statistiken erschließt. Hinter den Zahlen stünden Gesichter und Biographien. Steinbrecher möchte, dass die Themen und Lebensgeschichten in und von der Politik diskutiert werden. Dazu ist das Buch ein guter und wertvoller Beitrag. „Eine Gesellschaft ist so integer, wie es ihr gelingt, auch die Würde der Schwachen in Grenzsituationen zu schützen“, bilanziert der Autor.
Steinbrecher erzählt dazu die Geschichten seiner Nachtcafé-Gäste. Es sind die Geschichten aus dem wahren Leben, die dieses Buch lesenswert machen. Diese handeln von Menschen, die um ihre Würde kämpfen und nicht aufgeben. Die Biographien rütteln auf und öffnen die Augen: sie zeigen, wo der Einsatz jedes Einzelnen für die Gesellschaft gefragt ist und gebraucht wird.
Michael Steinbrecher: „Der Kampf um die Würde – Was wir vom wahren Leben lernen können“, Herder, 256 Seiten, 22 Euro, ISBN: 9783451381997.
Von: Johannes Blöcher-Weil