Der Theologe Hanna Josua stammt ursprünglich aus dem Libanon. In dem Land spielen sowohl Christentum als auch Islam eine wichtige Rolle. Dadurch kennt sich der Autor mit dem Zusammenleben der beiden Religionen aus. In seinem neuen Buch „Die Muslime und der Islam“ fragt er, inwiefern der Islam zu Deutschland gehört – und was das für das gesellschaftliche Miteinander bedeutet. Dabei spielt sich der Autor nicht als Besserwisser auf. Es ist ihm ein Anliegen, dass das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen gelingen kann.
Josua benennt die Problemfelder, zu denen sich islamische Verbände positionieren und um Lösungen ringen müssten. Dazu gehört es für ihn unter anderem, wenn Muslime Andersgläubige bedrängen, sie Kreuze bei der Nutzung kirchlicher Räume abhängen oder sie christlich geprägte Traditionen, etwa im Kindergarten, ablehnen. Josua schürt keine Angst vor Muslimen. Er warnt aber davor, dass die Religion durch den politischen Islam instrumentalisiert wird. Dies sei nicht dienlich, um ein gegenseitiges Vertrauen zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen aufzubauen.
Vertrauen gewinnen und sich selbst hinterfragen
Josua sieht einen deutlichen Unterschied zwischen Christentum und Islam. Christen haben zwar einen Missionsauftrag, aber nicht das Ziel, „die Weltherrschaft anzustreben“. Im Islam sei dagegen historisch gewachsen, dass die Feinde derjenigen, die den Koran besitzen, schnell als Feinde der Religion gälten. Mohammed habe, in den heutigen Kategorien gesprochen, die Innen-, die Außen-, die Verteidigungs- und die Religionspolitik bestimmt.
Als sachliche Grundlage liefert Josua zunächst aktuelle Zahlen zum Islam in Deutschland. Diese verdeutlichen, dass er sehr heterogen organisiert ist und es nicht „den einheitlichen Islam“ und „die Muslime“ gibt. Deshalb könne die Religion leicht für verschiedene Zwecke instrumentalisiert werden. Manche Deutsche hätten sogar Angst vor einer Islamisierung des Landes. Der stetige Wandel der Gesellschaft verunsichere viele.
Zudem geht der Autor auf den politischen Diskurs ein, den der frühere Bundespräsident Christian Wulff mit seinem Satz ausgelöst hat, dass der Islam zu Deutschland gehöre. Josua beobachtet, dass die Parteien am rechten Rand sich ablehnend und diffamierend über die Muslime äußerten. Die Parteien des linken Spektrums fielen aus seiner Sicht auf der anderen Seite vom Pferd. Diese betrachteten nicht nur die Muslime, sondern auch den Islam als zu Deutschland gehörend.
Auch für den religiösen Diskurs macht Josua eine Bestandsaufnahme. Viele Deutsche wünschten sich von den Kirchen hier klarere Positionen. Unter anderem machten sich Islambeauftragte der Kirchen bei kritischen Fragen rar und seien sehr schweigsam. Von den Muslimen wünscht sich Josua, dass sie die genannten Kritikpunkte reflektieren und plausible Antworten darauf geben. Der Autor zitiert auch den Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Dieser hält eine Reform des Islam für dringend notwendig, mit einer „ehrlichen Debatte über aus dem Koran begründete Gewalt“.
Keine populistischen Vereinfachungen und islamfeindlichen Positionen
Eine wichtige Rolle für Muslime spiele oft die Rückbindung in ihr Herkunftsland. Viele schauten „immer noch auf den Islam in den Ländern, aus denen sie vor 40 bis 50 Jahren kamen“. Josua verweist auf die Position des Islamkritikers Hamed Abdel-Samad. Dieser sehe nicht den fehlenden Arbeitsplatz oder die fehlende Staatsbürgerschaft als Hindernis für Integration, sondern das fehlende „Ja zu unserer Gesellschaft mit ihrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung“.
Josua findet es „erfrischend“ und „wohltuend“, wenn sich neben den immer über den Status quo „nörgelnden und fordernden Islamverbänden“ auch die sonst schweigende Mehrheit der Muslime zu Wort meldet. Viele von ihnen sähen sich in erster Linie als deutsche Staatsbürger und erst danach als Muslime. Hier sei politisches und religiöses Vertrauen ein Gebot der Stunde, um das Miteinander zu verbessern. Josua sieht aber auch ermutigende Entwicklungen „innerhalb der islamischen Community“, in der ein innerislamischer Diskurs gelinge. Als Beispiele nennt er die Zentren für Islamische Theologie sowie als Einzelinitiative das Muslimische Forum Deutschland, das hoffnungsvolle Wege gehe in Richtung eines Islams, der mit westlichen Werten zusammenpasst.
Für Josua gibt es nicht eine Antwort auf seine Ausgangsbehauptung, wer oder was zu Deutshland gehört. Einerseits gehöre der Islam mittlerweile zu Deutschland, „mit all seinen positiven und negativen Seiten“, weil Muslime in Deutschland leben. Andererseits habe der Islam historisch nur indirekt zur europäischen Kultur beigetragen „und zur europäischen Aufklärung und Identität so gut wie nichts“. Was für Josua gar nicht geht sind populistische Vereinfachungen und platte islamfeindliche Positionen, die in einer mündigen Gesellschaft nichts zu suchen hätten.
Sehr detailliert setzt sich der Theologe Hanna Josua mit der Frage auseinander, wer und was zu Deutschland gehört – und was nicht.
Wer problematische Tendenzen anspreche, dem dürfe keiner vorwerfen, dass er den Islam „bekämpfe“. Eine Gesellschaft überlebe nur, wenn alle Bürger einen Konsens über die Geltung und die Konsequenzen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in ihrer Offenheit für Religionsausübung finde. Ale Beteiligten müssten gemeinsam entscheiden, welcher Islam in Deutschland eine Zukunft haben kann. Dazu müssten Grenzen der Toleranz benannt und Gemeinsamkeiten benutzt werden, damit ein friedliches Zusammenleben möglich ist. Wenn dies gelinge, sei die Gesellschaft für die Zukunft gerüstet.
Christen hätten die Verpflichtung, jeden anderen Mitmenschen als Ebenbild Gottes zu sehen. Die logische Konsequenz davon sei, das friedliche Zusammenleben aktiv zu gestalten. Von daher bietet Josua noch einmal einen anderen Blickwinkel, der sonst in der Debatte um Wulffs Satz kaum genannt wurde. Die Lektüre seines Buchs lohnt sich, auch wenn 15 Euro für ein so dünnes Werk ganz schön happig sind.
Hanna Josua: „Die Muslime und der Islam. Wer oder was gehört zu Deutschland?“ Evangelische Verlagsanstalt, 160 Seiten, 15 Euro, ISBN 9783374058716