Wenn Ahmad Mansour ein Buch über Integration schreibt, dann ist das nicht das Werk eines Wissenschaftlers im Elfenbeinturm, sondern auch ein Erfahrungsbericht von einem, der selbst weiß, wie es sich für einen Migranten anfühlt, in Deutschland anzukommen – oder auch nicht anzukommen.
Im Buch „Klartext zur Integration“ liefert Mansour genau das: Eine schonungslose Bestandsaufnahme eines Bereichs der Gesellschaft, den die Politik jahrzehntelang vernachlässigt hat. Wer nun aber sofort an Migranten- und Islambashing denkt, wird sich wundern. Denn Mansour übt nicht nur Kritik an der Integrationsverweigerung vieler, vor allem arabischstämmiger Migranten, sondern auch an der deutschen Mehrheitsgesellschaft, die es Migranten oft nicht leicht macht.
Integration ist schwer
Der Psychologe hat es am eigenen Leib erlebt. Als junger arabischer Israeli wanderte er nach Deutschland aus. Er bemühte er sich, Deutsch zu lernen. Wenn ihm ein Wort nicht einfiel, lachten die Deutschen über ihn. Sie kamen ihm kalt und fremd vor. Erst im stark migrantisch geprägten Neukölln fühlte er sich verstanden. Die Menschen sprachen seine Sprache, er genoss das geliebte Essen aus der Heimat, er traf auf eine herzliche Willkommenskultur. Über die Deutschen jedoch sagten die neuen Freunde kaum etwas Gutes. Ständig seien sie „im Stress“, schöben ihre Eltern in Altersheime ab, deutsche Frauen seien leicht zu haben, aber „nichts zum Heiraten“. Erst durch harte Arbeit, das Studium der Psychologie und mehr Kontakte mit Deutschen fand Mansour auch innerlich Anschluss an sein neues Zuhause, das er nun auch so nennt.
Es drängt sich die Frage auf: Wenn Integration für einen wie Mansour – männlich, gebildet, wortgewandt, selbstbewusst – schon so schwer ist, wie schwer ist sie dann für andere Menschen, die nach Deutschland kommen? Mansour reist als Psychologe und Berater durch die Republik, betreut Migrantenfamilien, bietet Präventionskurse in Gefängnissen an, begleitet sogar einen inhaftierten Terrorverdächtigen. Zusammengefasst: Viele Zugewanderte haben große und größte Probleme, sich mit Grundgesetz und Werten der Bundesrepublik zu identifieren.
Das Muster ist trotz unterschiedlicher Intensität immer dasselbe. Mit großen Hoffnungen kommen Menschen nach Deutschland, erwarten Wohlstand, Freiheit, Sauberkeit. Doch dann lernen sie die Kehrseite kennen. Sie klagen über die Freizügigkeit vor allem von Frauen, den geringen Stellenwert der Familie und die Vergötterung von Arbeit und Leistung. Männer fühlen sich nicht respektiert und gedemütigt, vor allem wenn sie merken, dass manche Frauen ihnen sprachlich überlegen sind.
Die Behörden prüfen die Migranten akribisch, ob ihnen das Beantragte denn auch zusteht. Häufig fühlen sie sich wie Kinder behandelt, etwa wenn die Deutschen betont langsam sprechen, damit diese sie auch verstehen. Sätze wie „für einen Ausländer sprichst du aber gut Deutsch“ signalisieren ihnen, dass sie nicht wirklich dazu gehören, genauso wie die Frage, woher sie denn „eigentlich“ kommen. Laut Mansour wird daraus schnell eine Trotzreaktion: „Jetzt zeige ich diesen Vollpfosten, dass ich wirklich nicht dazugehöre.“
Das Patriarchat im Islam muss bekämpft werden
Halt und Anerkennung finden sie in muslimischen Gemeinschaften. In ihnen wächst der Wunsch, sich von der deutschen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, eben genau dieses Anderssein nicht mehr als Makel zu beklagen, sondern mit Stolz zu zelebrieren. Der Islam, den viele zuvor eher beiläufig praktizierten, wird plötzlich zum wichtigen Identifikationssymbol. Oft berichtet der Psychologe Mansour, wie viele muslimische Migranten durch ihre autoritären Väter geprägt wurden. Gerade das nutzen Islamisten aus, indem sie eine neue Vaterfigur anbieten: „Eine, die aber noch stärker, mächtiger und patriarchalischer ist: Einen Allah, der zornig ist, der bedroht, belohnt und bestraft.“
Mansour liegt es fern, die Schuld für die fehlgeschlagene Integrationspolitik nur in einer ablehnenden Gesellschaft zu suchen. Der Autor nennt haarsträubende Beispiele, wie der Staat mit viel zu wenig Selbstbewusstsein Verhalten toleriert, das mit demokratischen Werten unvereinbar ist:
Raser, die sich nur von männlichen Polizisten kontrollieren lassen. Leiter von Flüchtlingsheimen, die wegen einer Massenschlägerei die Polizei rufen, die aber bitte keine Frauen schicken soll, da sonst die Lage eskaliere. Behörden, die Lehrerinnen empfehlen, die Schuld bei sich selbst zu suchen, wenn männliche Schüler sagen, Tafelwischen sei Frauenarbeit.
Der gebürtige Israeli fordert auch die Migranten auf, sich anzupassen. Dass schon Mädchen Kopftuch tragen und nicht den Schwimmunterricht besuchen dürfen, soll nach seiner Ansicht verboten werden. Das Patriarchat im Islam müsse genauso hart bekämpft werden, wie es bereits im Christentum geschehen sei. In muslimischen Communitys herrsche ein tief verwurzelter Antisemitismus, der von hiesigen Imamen noch befeuert werde.
Mansour will einen liberalen Islam, der mit der westlichen Demokratie und Aufklärung vereinbar ist. Man muss anfügen: Bisher sind solche Versuche gescheitert. Die Gründung der ersten liberalen Moschee in Deutschland etwa, der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, zog Morddrohungen gegen die Gründer nach sich. Während die Reformation im Christentum vor allem eine Rückbesinnung auf die Heilige Schrift der Christen war, fordert Mansour in Bezug auf den Koran eher das Gegenteil: eine kritische, distanzierte Sichtweise. Offen bleibt, wie das funktionieren soll. Bisher ist das Verlangen nach einem liberalen Islam noch ein frommer Wunsch der intellektuellen Elite, keinesfalls einer breiten Bewegung.
Doppelmoral unter Feministen
Immer wieder beklagt Mansour einen Staat, der viel zu lasch agiere: Selten müssten Straftäter wirkliche Konsequenzen fürchten. Polizisten würden davon berichten, wie Straftäter ihnen bei der Verhaftung ins Gesicht grinsen und ihnen zu verstehen geben, man sehe sich morgen eben wieder. Der Autor plädiert für eine Null-Toleranz-Strategie: Auch für vermeintlich kleinere Vergehen wie Taschendiebstahl oder Drogenhandel müsse es Strafen geben. Mansour fordert dafür mehr Staatsanwälte, Richter und Polizisten.
Vor allem sollten Polizisten nicht ständig dem Vorwurf des Rassismus ausgesetzt sein, der sie in ihrer Arbeit lähme. Der Psychologe kritisiert sämtliche etablierten Verbände, die zwar häufig wohlklingende und gern zitierte Bekenntnisse zu Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten abgeben, auf den zweiten Blick aber doch autoritäre Strukturen aufweisen. Die Ahmadiyya-Muslim-Jugendorganisation hatte beispielsweise mit einer aufwendigen Choreographie unter dem Motto #MuslimeFürDeutschland ein Bekenntnis zur Bundesrepublik abgegeben. Doch: Ausschließlich Männer seien daran beteiligt gewesen, „da bei dem Festival das Prinzip der islamischen Geschlechtertrennung galt“.
Eine seltsame Doppelmoral stellt Mansour bei deutschen Feministen fest. Einerseits würden sie auf die Barrikaden gehen, wenn ein Text nicht ausreichend gegendert sei, und andererseits ein Kopftuch mit Emanzipation gleichsetzen oder das Tragen einer Burka als freie Entscheidung ansehen. „Das hat mit Freiheit nichts zu tun. Wer das nicht sieht, hat nichts verstanden.“ Zwar gebe es Frauen, die sich tatsächlich für ein Kopftuch aus freien Stücken entscheiden, bei Heranwachsenden jedoch sieht Mansour große Probleme. Und selbst dann sei das Kopftuch ein Symbol für Patriarchat und Unterdrückung. Schließlich müssten sich Frauen ja auf diese Weise bedecken, um bei Männern kein sexuelles Verlangen zu wecken. Wo Neutralität gefordert sei – unter Pädagogen, in Polizei und Justiz – will Mansour Kopftücher verbieten lassen. Auch christliche Kreuze sollten in Schulen nicht zu sehen sein.
Zehn-Punkte-Katalog für erfolgreiche Integrationspolitik
Mansour muss für solche Äußerungen verbale Prügel einstecken. Muslime werfen ihm vor, seine Seele „für ein paar Euro“ an die Deutschen verkauft zu haben. Linke Kreise warnen, er spiele vor allem der AfD in die Hände, von der er sich allerdings scharf abgrenzt. Mansour will, dass Integration endlich differenziert betrachtet wird, ohne dass man in eine bestimmte politische Ecke gestellt wird.
Dazu fordert er in einem Zehn-Punkte-Katalog mehr Selbstbewusstsein des Staates für die Werte des Grundgesetzes, eine Professionalisierung der Integrationspolitik, ein Einwanderungsgesetz und eine intensive, kritische und trotzdem wohlwollende Begleitung von Migranten. Zudem wünscht sich Mansour eine staatliche Förderung der innerislamischen Debatte hin zu einem Islam, der zur westlichen Demokratie passt.
Wer Mansours Erfahrungen mit muslimischen Migranten und deutschen Behörden ernst nimmt – und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun – für den sind dessen Forderungen nichts als logisch. Es ist zu wünschen, dass „Klartext zur Integration“ auch den Weg auf die Schreibtische politischer Entscheidungsträger findet.
Von: Nicolai Franz