Die Integration der Muslime als Gesamtheit ist gescheitert. Dieses ernüchternde Fazit zieht der Autor Hamed Abdel-Samad in seinem Buch „Integration: Ein Protokoll des Scheiterns“. Trotz aller Rückschläge hofft er, dass die Wende gelingt und ein gesellschaftliches Umdenken stattfindet. Dafür entwirft er einen neuen „Marshallplan“ für gelingende Integration. Dieser hatte Deutschland durch finanzielle Zuwendungen nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf die Beine geholfen.
Abdel-Samad stört, dass konservative Muslime lauter zu hören seien als alle anderen. Zwar seien Bildung und Sprachkompetenz wichtige Vorraussetzungen für Integration. Trotzdem sagten diese Fähigkeiten nichts darüber aus, ob jemand westliche Werte ablehne oder gar verachte oder sich, wie bei den Anschlägen am 11. September, gar als Mörder entpuppe. Integration ist für Abdel-Samad keine Einbahnstraße. Damit sie gelingen kann, müssten beide Seiten etwas tun. Dafür wiederum sei eine ehrliche Analyse notwendig. Äußere Bedrohungen wollten das zerstören, was Deutschland ausmache.
Ghettos verhindern Integration
Der Autor nimmt Angst und gegenseitige Skepsis wahr, die so groß sei wie nie zuvor. Seit seiner Ankunft in Deutschland in den neunziger Jahren habe er Migration immer dann als erfolgreich erlebt, wenn Eltern der Einwanderer den Weg ihrer Kinder in die Freiheit nicht versperrten und Integrationswillige eine deutsche Bezugsperson hatten.
Als ein Grundübel für gescheiterte Integration nennt er die Ghettoisierung der Städte. In vielen von ihnen habe er erlebt, dass die Politik kein Gegenmittel finde. Wirkliche Ansatzpunkte zum Gegensteuern sieht er nicht. Heftige Kritik äußert er auch am Erstarken des politischen Islam. Skeptisch sieht er vor allem die Moscheen, die als Einfallstor dienen könnten. Ohne Fortschritte bleibe auch die Debatte um das Kopftuch. Für viele Islam-Kritiker habe dies nichts mit Freiheit oder Feminismus zu tun und entspreche nicht der Botschaft der Freiheit oder des Gehorsams.
Pädagogische Konzepte notwendig
Einen weiteren Knackpunkt für das Scheitern der Integration erkennt der Autor in der Bildungspolitik. Es gebe Schüler, die sich nicht anpassen und Lehrer, die keine Integrationsarbeit leisten wollten. An Schulen und Kindergärten werde viel Potenzial verschenkt. Schon hier könnte man Kindern beibringen, dass sich Kulturen gegenseitig befruchten und nicht in Konkurrenz zueinander stünden. Das dort entstehende Vakuum füllten andere radikalere Kräfte. Deswegen brauche es pädagogische Konzepte.
Besonders im Blick hat er dabei die Menschen, die er als „Krawatten-Islamisten“ bezeichnet, weil sie nicht auf Anhieb als Islamisten erkennbar seien. Diese bemühten sich, den politischen Islam in Europa salonfähig zu machen und den Islamismus zu relativieren. Viele Muslime genössen die Vorzüge der Freiheit und des Wohlstandes. Sie und ihre Religion seien hier aber immer noch fremd und exotisch.
Abdel-Samad sorgt sich darum, dass die Radikalen auf beiden Seiten immer stärker würden. Er warnt davor, den Individualismus zugunsten eines imaginären Kollektivs aufzugeben. Vor allem die Menschen an den Rändern der Gesellschaft sehnten sich nach starken Autoritäten. Noch sei die Mitte der Gesellschaft größer als die Ränder, aber die Mitte werde in der gesellschaftlichen Debatte immer sprachloser. Oft werde auch eine ehrliche Debatte über den Status quo verhindert.
Hausaufgaben für die Gesellschaft
Die Tatsache, dass die Politik die konservativen Islamverbände weiterhin als Partner betrachte, weil sie angeblich die Mehrzahl der Muslime vertrete, ist für den Autor ein fatales Signal. In der Flüchtlingskrise vermisste er eine sachliche Analyse ohne Denkverbote. Die Gesellschaft betreibe erneut – wie bei den Gastarbeitern – Segregation und lasse Parallelgesellschaften zu.
Jedem einzelnen gesellschaftlichen Akteur schreibt Abdel-Samad in Form von Appellen Hausaufgaben ins Stammbuch: dem Staat, der Justiz, den Schulen, den Rändern der Gesellschaft und der Zivilgesellschaft. Er wünscht sich eine neue Werte-Debatte. Deutschland befinde sich gerade an einer entscheidenden Wegkreuzung. Jetzt sei es an der Zeit, sich an die Ursachen zu wagen und nicht nur an den Symptomen herumzudoktern. Ein „Aufstand der Anständigen“ sei an der Zeit. Wenn dieser jetzt nicht umgesetzt werde, zeichnet Abdel-Samad ein düsteres Bild für Deutschland. Dann bestimmten Skepsis, Hass und Aggresivität den politischen Diskurs und das Zusammenleben.
Abdel-Samads Buch ist eine ehrliche Analyse einer aus seiner Sicht gescheiterten Integrationspolitik. Vieles davon ist nicht neu und er wiederholt seine Argumente vorheriger Bücher gebetsmühlenartig, aber vielleicht verknüpft er damit den Wunsch, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Eine lesenswerte Lektüre ist das Buch allemal, bietet es doch Ansatzpunkte, die sich auf alle gesellschaftlichen Schichten beziehen.
Hamed Abdel-Samad, Integration: Ein Protokoll des Scheiterns, Droemer und Knaur, 272 Seiten ISBN: 9783426277393, 19,99 Euro.
Von: Johannes Blöcher-Weil