Deutschland diskutiert darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Der Würzburger Rechtsphilosoph Horst Dreier plädiert in seinem neuen Buch „Staat ohne Gott“ für einen neutralen Staat in religiösen Fragen. Religion solle Privatsache sein, bei der sich der Staat nicht einmische. Der renommierte Jurist gibt einen strukturierten Überblick über die gerade laufende fachliche Debatte.
Er macht deutlich, wo Staat, Gott und Religion zusammenpassen und warum aus seiner Sicht der säkulare Staat ein religiöser Freiheitsgewinn ist. Das Buch ist keine ganz leichte Kost, bringt aber doch etliche Erkenntnisse. Ganz ohne Polemik setzt sich der Autor auch mit den wichtigsten Gegenargumenten auseinander. Für Dreier ist der säkulare Staat mitnichten ein erster Schritt in Richtung Religionslosigkeit oder gar ein ein anti-religiöses Projekt.
Entkirchlichung bedeutet nicht Religionsschwund
Zunächst sortiert und sondiert Dreier. Er klärt auf, woher der Begriff Säkularisierung stammt und wie er sich über die Jahrhunderte verändert hat. In dem historischen Rückblick verdeutlicht der Autor, dass Entkirchlichung nicht automatisch Entchristlichung oder Religionsschwund bedeuten muss. Global sieht er keinen Rückgang religiöser Kräfte, Bewegungen und Bindungen. Interessant ist für ihn, dass das Thema Religion in einem „außergewöhnlich beeindruckenden Ausmaß“ auf die Agenda der modernen Wissenschaften zurückgekehrt ist.
Am Ende einer jahrhundertelangen Ausdifferenzierung stehe die Einsicht, dass dem Staat als säkularer Institution für glaubensbezogene Wahrheitsfragen schlicht die Kompetenz fehle. Dreier betont etwa, dass Hinweise auf den verfassungsrechtlichen Sonntagsschutz oder den Religionsunterricht die Geltung des Neutralitätsgebotes als verfassungsrechtliche Vorgabe nicht ins Wanken bringen können.
Dreier beobachtet auch eine Konjunktur des Heiligen. Er zieht aber klare Trennlinien. Das Grundgesetz sei keine Bibel, das politische Leben kein Gottesdienst und der Verfassungsexeget kein Hohepriester: „Eine freiheitliche Verfassung betrachtet man am besten ganz nüchtern als Form friedensstiftender und freiheitsgarantierender Herrschaftsrationalisierung.“ Der Staat habe die Finger vom Seelenheil seiner Bürger wegzulassen.
Gerichte müssten oft über religiöse juristische Konflikte entscheiden. Dreier wünscht sich eine „Besinnung auf die Grundstrukturen und Grundfragen des säkularen Staates“. Die Säkularisierung bedeute den „Verzicht auf Transzendenz als Begründungsressource“. Das mache den Staat unabhängig von religiösen Letztbegründungen. Wenn der Staat neutral sei, spreche dies nicht für dessen Schwäche.
Die Neutralität des Staates ist für Dreier Kernstück demokratischen Miteinanders und des 250-seitigen Buches. Es handele sich um einen Staat, der zumute, dass der andere anders denkt, lebt, glaubt, redet und handelt, als man selbst es für richtig und geboten hält. „Er bietet auch eine umfassende Freizeit zu wechselseitiger Kritik, zum Meinungskampf, ja zur geistigen Provokation.“ Dreier gelingt eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Der Würzburger Wissenschaftler wollte analysieren und nicht streiten. Das ist ihm in den sechs Kapiteln gelungen.
Von: Johannes Weil