Eigentlich ist es ganz einfach: ein Lächeln, ein aufrichtiges „Danke“, fünf Minuten Zeit zum Zuhören, ein helfender Handgriff. Gelegenheiten, andere Menschen wertzuschätzen, gibt es ständig, jeden Tag. Wertschätzung, so schreibt Tim Niedernolte, ist eine „Wunderwaffe“, die das Leben „sofort und ganz einfach viel besser macht“, noch dazu eine, die sich nicht verbraucht und „die allergrößte Rendite überhaupt“ bringt: „Sie macht glücklich!“
Keine so ganz überraschende Erkenntnis, die der Moderator und Journalist Tim Niedernolte in seinem Buch „Wunderwaffe Wertschätzung“ entfaltet. Aber doch eine so wichtige, dass sich das Buch in jedem Fall zu lesen lohnt. Niedernolte hält sich nicht mit Definitionen und theoretischen Betrachtungen zu dem Thema auf. Er geht gleich mitten rein, in den Alltag, in sein persönliches Erleben, in seine Gespräche mit Freunden und anderen „Wertschätzern“.
Verstehen lernen statt in Schubladen denken
So schildert Niedernolte zum Beispiel seine Begegnung mit Pari Roehi. Sie war 2015 Kandidatin in Heidi Klums Show „Germany’s Next Topmodel“ – als erste Transgender-Frau. Sie stammt aus dem Iran, floh als Kind mit ihrer Mutter nach Europa. Die 28-Jährige wurde körperlich als Junge geboren, nach einer Hormontherapie ließ sie sich mit 19 Jahren operieren.
Das Gespräch zeigt beispielhaft, was Niedernolte mit Wertschätzung meint: Zum einen sprechen die beiden darüber, wie man Wertschätzung anderen Menschen gegenüber ausdrücken kann. Das ist inspirierend, weil tiefsinnig, ehrlich und authentisch. Es geht um die kleinen Gesten des Alltags, aber auch um persönliche Schwächen, um Vergebung; darum, lösbare Probleme anzupacken statt vertanen Chancen nachzutrauern, um die eigene Haltung zum Leben. Die Begegnung zeigt außerdem: Wertschätzung bedeutet, den anderen wahrzunehmen, obwohl er anders ist, ihn verstehen zu lernen, statt in Schubladen zu stecken.
„Vorurteile und Klischees sind Gegner der Wertschätzung“, stellt Niedernolte fest. Das wird an verschiedenen Stellen im Buch deutlich, etwa wenn der Autor sich über die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen ärgert oder über das Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeitern schreibt.
Wie Wertschätzung konkret wird
Auch im Gespräch Niedernoltes mit seiner Kollegin Dunja Hayali kommt das rüber. Die ZDF-Journalistin will verstehen, warum Menschen eine radikale Partei wie die AfD wählen, sie will nachfragen und verstehen. Sie setzt sich für gegenseitigen Respekt, für Zuhören und Dialog ein, auch und gerade wenn die Meinungen weit auseinander liegen. Hayali kommt auf ihr Lebensmotto zu sprechen: „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinen anderen zu.“ Niedernolte führt dazu aus: „Der Spruch beschreibt Wertschätzung in einem Satz, ist außerdem uralt und global wirksam und gilt für alle relevanten Themen der Menschheit.“ Gewiss, neu ist das Thema nicht. Niedernolte geht es darum, es mit Leben zu füllen, ganz konkret und praktisch.
Das kann auch im Internet geschehen, zeigt Niedernolte auf. Dort, wo Menschen ungefiltert Hass verschleudern, gibt es genauso auch mutmachende und helfende Posts, Beiträge und Bewegungen. Wertschätzung schließt für Niedernolte ebenfalls ein, nachhaltig und rücksichtsvoll mit der Umwelt und mit Rohstoffen umzugehen, Nahrungsmittel wertzuschätzen, mit dem zufrieden zu sein, was man hat. Andere aufbauen, statt sie fertigzumachen, „dem Leben die Tür aufhalten“. Dabei fange Wertschätzung immer bei einem selber an.
Eine bunte Palette von Beispielen breitet er in seinem Buch aus, an denen Wertschätzung konkret wird. Er lässt dazu eigene Gedanken und Erlebnisse einfließen und die Impulse, die er selbst aus Gesprächen mit „Mitwertschätzern“ erhalten hat – außer den bereits genannten auch der ehemalige Fußballprofi Marcell Jansen, der Fernsehkoch Christian Rach und der Werbeexperte Michael Volkmer.
Die Haltung macht den Unterschied
Niedernolte schreibt so ungezwungen und locker, als würde er dem Leser bei einem kühlen Glas Bier einfach vom Herzen runter erzählen, was ihn beschäftigt. Und dass ihn das Thema „Wertschätzung“ beschäftigt und die Kraft, die darin liegt, ist von der ersten bis zur letzten Seite zu spüren. Auf zehn Seiten formuliert er am Ende des Buches Danksagungen an Wegbegleiter und Freunde – eine wahre Wertschätzungsdusche. Sein Buch kommt nicht ausdrücklich christlich-fromm daher, aber dass der christliche Glaube eine wichtige Quelle für Niedernoltes Haltung ist, lässt er hier und da anklingen.
Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für einen wertschätzenden Lebensstil. Und Niedenolte beschwört seine Leser geradezu, auch bei Rückschlägen in Sachen Wertschätzung nicht damit aufzuhören. „Ich bin mir sicher: Wenn wir anfangen, unsere Sicht auf die Gesellschaft und unseren Alltag wertschätzender zu gestalten, werden wir alle das große Glück dieser einfachen und doch so weitreichenden Lebenshaltung spüren und erleben.“
Das ist mehr als naiver Idealismus oder Gutmenschentum: Es ist eine Haltung, die den Unterschied machen kann. Hoffentlich lassen sich viele davon anstecken!
Von: Jonathan Steinert