Wo Kinder missbraucht wurden, ist viel kaputtgegangen. „Dieses Buch ist keine Reparaturanleitung“, schreibt Christian Rommert im Vorwort seines Leitfadens „Trügerische Sicherheit“. Und doch gibt der Autor viele hilfreiche Tipps zum Umgang mit sexueller Gewalt – und wie sie verhindert werden kann.
Ein Buch, das nötig ist: Denn längst ist bekannt, dass Kindesmissbrauch in allen Konfessionen vorkommt. „Trügerisch“ kann da die Sicherheit wirken, die eine Gemeinde ausstrahlt. Wie können Kirchen und Werke aber eine Atmosphäre schaffen, in der Kinderschutz konsequent durchgesetzt wird?
Mit dieser Frage beschäftigte sich auch die Freie evangelische Gemeinde (FeG) Wuppertal-Ronsdorf, die seit Jahrzehnten für ihre Jugendfreizeiten in Holland bekannt ist. Vor wenigen Jahren stellte sich heraus, dass Karl Strauch, Initiator der Freizeiten, Kindern sexuelle Gewalt angetan hatte. Nicht nur jungen Teilnehmern der Freizeiten, sondern auch seiner Tochter sowie Enkelkindern.
Bekannt wurden die Taten, als Strauchs Sohn, der langjährige FeG-Präses Peter Strauch, sie in seiner Autobiografie „Meine Zeit steht in deinen Händen“ thematisierte. Sowohl Peter Strauchs Schwester Ille Ochs als auch seine eigenen Kinder waren von Karl Strauch missbraucht worden.
Buchautor Rommert selbst hat aufgrund langjähriger Erfahrung Prinzipien entwickelt, um ein tragfähiges Konzept für den Schutz von Kindern in Gemeinden und Werken durchzusetzen. In vier gut strukturierten Kapiteln schildert er anschaulich, warum das Thema so relevant ist, warum es starke Kinder, Eltern und Werke braucht und welche konkreten Maßnahmen gegen sexuelle Gewalt ratsam sind. Zum Beispiel rät Rommert, zwei Vertrauenspersonen unterschiedlichen Geschlechts als Beschwerdeanlauftstelle einzusetzen.
Viele Täter empfinden sich als „Love-Teacher“
Dabei bemüht sich der Autor um ein möglichst umfassendes Bild: Wie kann man zum Beispiel erkennen, ob ein Kind betroffen ist? Was kann man als Eltern, als selbst Betroffener oder gar als jemand tun, der sich zu Kindern hingezogen fühlt?
Rommert geht dabei auf die besonderen Herausforderungen in christlichen Gemeinden ein. Entweder werde dort ein „rigoroser“ Kurs gefahren, bei dem jede Form von Sexualität außerhalb der Ehe tabu sei – oder das Thema werde komplett verschwiegen. Dabei müssten Jugendliche eigentlich für das Thema Grenzen sensiblisiert werden. „Auch diese Atmosphäre der Unwissenheit und der Verunsicherung bietet Täterinnen und Tätern ein besonderes Feld, um sich missbräuchlich Kindern zu nähern“, so der Autor. „Viele Täterinnen und Täter empfinden sich selbst als ‚Love-Teacher‘, als jemand, der entgegen der veralteten und spießigen Meinung der anderen Gemeindemitglieder offen und locker mit dem Thema umgeht.“
Anhand von anschaulichen Beispielen entlarvt der Autor die Mechanismen von sexuellem Missbrauch. Wie Täter geschickt vorgehen und sich langsam an ihre Opfer herantasten. Häufig, so Rommert, führten die Täter zunächst „Testrituale“ durch, um herauszufinden, bei welchem Kind sie am ehesten Erfolg haben könnten. Dann folge die „Sexualisierung“, also eine schrittweise Annäherung an sexuelle Handlungen. Anschließend machten die Täter den Opfern ein schlechtes Gewissen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Bewusstsein schaffen auf allen Ebenen
Als das Medienecho um die FeG Wuppertal-Ronsdorf zunahm, suchte die Gemeinde bei Christian Rommert Hilfe. Rommert schildert, dass es auch in diesem Fall keine schnelle „Reparatur“ gibt, sondern dass der Umgang mit sexuellem Missbrauch ein Prozess ist: Die Gemeinde richtete ein Sorgentelefon ein, damalige Mitarbeiter wurden befragt, ein Kinderschutzkonzept erstellt.
Bewusstsein schaffen, und zwar auf allen Ebenen, das ist ein zentrales Thema dieses Buches. Eltern brauchen einen wachen Blick für ihre Kinder, Leiter sollten erst auf Eignung geprüft werden, und auch Kinder brauchen Begleitung, damit sie klare Grenzen ziehen und ihre Freiheit verteidigen können.
Christian Rommert hat ein kompaktes, praxisnahes und trotzdem umfassendes Werk geschrieben, dem weite Verbreitung zu wünschen ist – auch wenn es Mühe bedeutet, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Kinder maximale Sicherheit erfahren. Denn, so Rommert: „Sicherheit ist etwas, das man immer wieder neu erarbeiten muss.“
Von: Nicolai Franz