„Dieses Buch möchte Kirchen, Gemeinden und Gruppen helfen, sich mit der AfD auseinanderzusetzen, aber das Gespräch nicht aufzugeben.“ Das sagt Wolfgang Thielmann, freier Journalist und Theologe, im Vorwort zu seinem Buch „Alternative für Christen?“ über das gespaltene Verhältnis der Alternative für Deutschland (AfD) zur Religion.
Thielmann zeigt, dass die AfD-Programmatik auf das Christentum angewiesen ist. „Es steht im Parteiprogramm als eine Quelle der deutschen Leitkultur. Auch dient es als Begründung dafür, dass der Islam nicht zu Deutschland gehört.“ Für den Islam wolle die Partei die Religionsfreiheit einschränken. „Das Christentum ist eine Basis der Partei, der Islam ihr Feindbild. Und die Kirchen entwickeln sich neben der etablierten Politik und den Medien zur Reibungsfläche, an der die AfD ihr Licht zum Leuchten bringen will“, schreibt Thielmann.
In dem Sammelband „Alternative für Christen?“ von Herausgeber und Mitautor Wolfgang Thielmann beleuchten ein AfD-Politiker, evangelische Kirchenobere, Theologen, Juristen und Journalisten aus verschiedenen Blickwinkeln ihre Erfahrungen mit und die Haltung zur Alternative für Deutschland (AfD). Der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU (EAK), Thomas Rachel, lobte bei der Vorstellung am 2. August im Tagungszentrum der Bundespressekonferenz in Berlin den Sammelband, in dem „nicht geschimpft oder geschwiegen, sondern miteinander gesprochen werde“. Rachel würdigte den „freiheitlich-demokratischen und ausgesprochen christlichen Ethos des Dialogs“.
Superintendentin: „AfD nicht vereinbar mit Gottes Gebot“
Aufschlussreich sind zwei Beiträge, die in direktem Zusammenhang stehen und die die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Akteure erkennen lassen. Zum einen ist da der Beitrag des Juristen Hartmut Beucker. Er kandidierte 2017 erfolglos für die AfD bei der NRW-Landtagswahl. Als seine Kandidatur jedoch bekannt wurde, trat das Presbyterium, dem er angehörte, aus Protest geschlossen zurück. Beucker schildert aus seiner Sicht den Hergang, seine Enttäuschung und die erlebte Anfeindung.
Zum anderen der Beitrag von Ilka Federschmidt, der zuständigen Superintendentin des Kirchenkreises, dem Beucker angehört. Über Beucker sagt Federschmidt, dass er persönlich sich nicht rassistisch oder in anderer Weise dem Evangelium widersprechend geäußert habe. Schärfer jedoch ist ihr Urteil über die Partei insgesamt. Federschmidt hält es „nicht für vereinbar mit Gottes Gebot“, die AfD zu wählen. „Ich würde allen Christinnen und Christen empfehlen, sie nicht zu wählen. Denn ich glaube: Am Ende ist diese Partei der Wolf im Schafspelz.“
Dem Herausgeber ist wichtig, dass weder polarisiert noch stigmatisiert wird, sondern im Dialog Argumente ausgetauscht werden. Während die Publizistin und Juristin Liane Bednarz in ihrem Beitrag behauptet, dass „fromm und rechts“ zusammenpassten und konservative Christen, Protestanten wie Katholiken, zugänglich für rechte Parolen seien, gelangt Superintendentin Federschmidt zu einem anderen Urteil. Sie schreibt: „Ich nehme die angeblich größere Nähe von Freikirchen zu AfD-Positionen mehr durch Berichte in evangelikalen Medien wahr.“
„AfD bedient rechtskonservative Filterblase“
Welche Wichtigkeit Thielmann dem Gespräch und der Urteilskraft der Leser beimisst, lässt eine rund 30-seitige Dokumentation erkennen, die eine Diskussion zwischen Anette Schultner, der Vorsitzenden der Gruppe „Christen in der AfD“, mit Liane Bednarz und Bischof Markus Dröge auf dem Kirchentag in Berlin 2017, wiedergibt. Schultner ließ nach Angaben Thielmanns Anfragen zur Mitwirkung an dem Buch unbeantwortet.
Der freie Journalist Benjamin Lassiwe schildert in seinem Beitrag, wie er als Vorsitzender der brandenburgischen Landespressekonferenz die Arbeit der AfD im brandenburgischen Landtag wahrgenommen hat. Lassiwe offenbart den mangelnden Willen der Partei zu konstruktiver Mitarbeit im Parlament. Er schreibt: „Sie [Anmerkung: die AfD] bedient nur die Leib- und Magenthemen der rechtskonservativen Filterblase. Die Fachlichkeit ihrer Abgeordneten hält sich in Grenzen.“
Die ehemalige Kirchentagspräsidentin, Christina Aus der Au, plädiert für den Dialog, selbst bei unvereinbaren Positionen. Den Zugang zur Wahrheit hält sie für vielfältig, „fragmentarisch“ die Erkenntnis. Sie schreibt, dass „in einer christlichen Ethik die eindeutige Unterscheidung zwischen Gut und Böse in die Geschichte des Sündenfalls gehört und nicht ins Paradies“. Insgesamt elf Autoren kommen zu Wort, darunter auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski und Sven Petry, der bis 2016 mit Frauke Petry verheiratet war, der Bundessprecherin der AfD.
Hilfe zum Dialog
Leider ist kein katholischer Kirchenvertreter unter den Autoren des Bandes. Der Deutsche Katholikentag 2016 hatte beispielsweise beschlossen, die AfD nicht zu Gesprächen einzuladen. Dementsprechend kann das Buch nur für eine Hälfte der Christen in Deutschland sprechen. Die Sicht der Katholischen Kirche fehlt. Thielmann ist fair, wenn er dem AfD-Landtagskandidaten und ehemaligen Presbyteriumsmitglied Breucker Raum im Buch gibt. Ausgewogen ist das Verhältnis zwischen Befürwortern der Partei und ihren Gegnern dadurch nicht. Dass die Vorsitzende der Gruppe „Christen in der AfD“, Anette Schultner, auf Mitwirkung an dem Buch verzichtet hat, ist schade, hätte sie doch gerade für eine Klientel an AfD-nahen Christen sprechen und deren Argumente vortragen können.
Die einzelnen Beiträge spiegeln jedoch vielfältig und schlüssig Meinungen und Haltungen von Christen zur AfD wider, sind kurzweilig, aber tiefgründig. Entgegen der Ankündigung im Titel, ist das Buch jedoch weniger eine Reflexion über das Verhältnis der AfD zu Religion allgemein, sondern weitgehend eine Auseinandersetzung mit dem Christentum. Insgesamt ist der Sammelband eine lohnenswerte, gelungene Lektüre für politisch interessierte Christen, die sich kritisch mit der AfD beschäftigen wollen und offen sind für den Dialog mit deren Vertretern. (pro)
Von: nob