Wenn es um ihre vier Kinder geht, schaltet die Journalistin Birgit Kelle in den „Löwenmutter-Modus“. So beschreibt sie es selbst in ihrem Buch „Muttertier“, einer Generalabrechnung mit der Familienpolitik der Großen Koalition und der „Herabwürdigung“, die Mütter in Wirtschaft und Gesellschaft immer wieder erfahren müssten. Kelle schildert, welche Gedanken und Gefühle sie bewegten, als sie selbst Mutter wurde, wie beim Stillen und Lesen von Gutenachtgeschichten die einzigartige Beziehung einer Mutter zu ihren Kindern wächst – Passagen, die „Muttertier“ zu ihrer bislang persönlichsten Veröffentlichung machen. Der Leser bekommt damit einen Rahmen, um die Perspektive der Autorin auf Politik und Gesellschaft besser einzuordnen. Der Großteil des Buches besteht aus jener pointierten Gesellschaftskritik, mit der Kelle bekannt wurde.
Frauen und Mütter werden, schreibt Kelle, aus unterschiedlichen Richtungen angegriffen. Da ist die Gender-Forschung, jene Dekonstruktion der Geschlechter, die nichts anderes sei „als das Zuendebringen der marxistisch-leninistischen Idee“. Die Weiblichkeit, das Wesen der Frau, werde so lange abgetragen, bis nur noch ein Kern austauschbarer Menschenmasse übrig sei, der dann zu einem neuen, geschlechtsneutralen Menschen zusammengesetzt werde. „Bis heute mühen wir uns deswegen mit einer Frauen-Bewegung ab, die zwar einerseits alle Frauen befreien will, gleichzeitig aber nicht mehr definieren möchte, was eine Frau denn überhaupt ist“, schreibt sie. „Sich weiblich zu fühlen ist offenbar okay, wenn man im Körper eines Mannes steckt, aber nicht okay, wenn man ,gefangen‘ ist im Körper einer heterosexuellen katholischen Hausfrau.“ Die Frauenbewegung habe es nicht gelernt, auch die Interessen jener Frauen zu vertreten, die gerne Hausfrau und Mutter sind.
„Muttis“ Politik hilft den Müttern nicht
Auch politisch bestehe kein Interesse, dies zu tun: „Alle familienpolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre hatten nichts anderes im Sinn, als die verbliebene Restzeit von Kindern in der Familie immer weiter zu dezimieren und entsprechend die Verweildauer von Müttern auf dem Arbeitsplatz auszuweiten“, kritisiert die Autorin. „Es nutzt ja nichts, dass wir alle seit über einem Jahrzehnt von ,Mutti‘ regiert werden, wenn es den Muttis im Land nichts nutzt“, geht sie mit ihrer eigenen Partei, der CDU, ins Gericht. „Die große Krippenoffensive und das gleichzeitige finanzielle Austrocknen der selbsterziehenden Mutter wurden erst unter einer CDU-Familienministerin auf die Spitze getrieben.“ Applaus gebe es dafür von Linken und Grünen: „Man findet derzeit in Deutschland außer der CSU aus Bayern keine Partei im Bundestag, die eine andere Frauenpolitik wünscht.“
Kelle zitiert die französische Philosophin Simone de Beauvoir, eine Schlüsselfigur der Frauen- und Genderbewegung, mit der Forderung, es solle keiner Frau erlaubt sein, zu Hause ihre Kinder großzuziehen – denn wenn sie diese Wahl hätten, würden sich zu viele Frauen dafür entscheiden. „Die Ikone der Frauenbewegung war in ihren methodischen Ansätzen nicht weniger totalitär als jeder andere politische Ideologe vor und nach ihr“, urteilt Kelle.
In „Muttertier“ ist der Stil zu erkennen, den die Publizistin bei ihren zahlreichen Vorträgen auf christlich-konservativen Veranstaltungen pflegt: Verblüffende und ärgerliche Fakten, mit spitzer Zunge vorgetragen, verpackt in eine gute Portion Polemik. Das macht Lesespaß, der Sarkasmus kann aber hier und da ermüden, zumal Kelle viele Gedanken sprunghaft aneinanderreiht. „Muttertier“ ist daher weniger Sachbuch als Streitschrift, was schade ist. Dennoch bekommen die Leser einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung. „Ich bin längst Teil der Frauenbewegung“, schreibt Kelle, „ich laufe aber in eine andere Richtung.“ Die Frauen, die es ihr gleichtun, haben in Kelle eine wichtige Fürsprecherin. (pro)
Von: mb