Die Mischung ist spannend und vielfältig: acht Biographien von Menschen, die in einem frommen Elternhaus aufgewachsen sind. Der Autor Matthias Hilbert porträtiert unter anderem die RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, der Unternehmer Heinz-Horst Deichmann und Friedrich Engels. Genauso verschieden wie sie mit ihrem Elternhaus umgehen, ist auch ihre spätere Einstellung zum Glauben.
Den wohl positivsten Einfluss auf seinen Glauben hatte das Elternhaus bei dem Unternehmer Heinz-Horst Deichmann. Der „Schuhverkäufer mit dem mildtätigen Herzen“ wuchs im Essener Stadtteil Borbeck auf. Deichmann wird früh Christ. Er möchte seinen Glauben authentisch und überzeugend vorleben. Reden und Tun sollen übereinstimmen.
Firma soll Teil des Glaubens sein
Der junge Mann studiert Medizin, steigt dann aber in die Firma der Eltern ein – und bringt sie zu Weltruhm. Ein Tiefpunkt für Deichmann ist, als die Firma wegen skandalöser Zustände in Billiglohnländern kritisiert wird. Trotzdem bemüht sich der Unternehmer seiner Verantwortung gerecht zu werden und von seinem Reichtum abzugeben, getreu dem Motto: „Wer mehr hat, muss auch mehr geben.“ Die eigene Firma und die eigene Philosophie sollen Teil seines Glaubens sein.
Deutlich rebellischer gegen sein Elternhaus war der Autor Friedrich Dürrenmatt. Für den Pfarrer-Sohn wird die Religion im Laufe des Lebens peinlich. Er fühlt sich gefangen und orientierungslos. Weil vieles für ihn nebulös bleibt, lehnt er sich gegen den elterlichen Glauben auf. Seine Werke haben anfangs christliche Bezüge. Im Laufe seines Lebens bekennt er sich offen zum Atheismus und sieht für sich keinen Grund mehr, die „Fiktion Gott“ aufrechtzuerhalten.
Elternhaus konfessionell großzügig
Wer in die Anfangsjahre von Friedrich Engels schaut, der entdeckt einen jungen Mann, der fromme Gedichte schreibt. Die Vorfahren sind fest verwurzelt in der Pietisten-Bewegung im Bergischen Land. Das Elternhaus ist aber „konfessionell großzügig“. Ihn stört als Erwachsener aber, dass unter den Fabrikanten die Pietisten am schlechtesten mit ihren Arbeitern umgehen. Er distanziert sich von seiner Herkunft. Glaubensinhalte will er nur für sich in Anspruch nehmen, wenn sie der menschlichen Vernunft nicht widersprechen. Er wird zum Missionar für die Sache von Karl Marx. Sein Ziel, findet Autor Matthias Hilbert, bleibt ein Paradies auf immanenter, weltlicher Grundlage.
Als sympathische Pfarrerstochter, die christliche Jugendliche in ihren Bann zieht, beschreibt der Autor Gudrun Ensslin. Geprägt von der christlichen Mädchenarbeit radikalisiert sie sich zunehmend. Stimmt sie zunächst mit dem Lebens- und Glaubensweg ihrer Eltern überein, verneint sie später die Gesellschaft total. Sie vollzieht einen existenziellen Bruch zu ihrem vorherigen Leben.
Der Leser erfährt im Lebensbild des Malers Vincent van Gogh, dass dieser Laienprediger und Katechismuslehrer war. Im Glauben ist ihm der Geist des Evangeliums wichtig, den er in allen Kirchen sieht. Er lehnt sich gegen die Eltern auf und stellt sich als schwarzes Schaf der Familie vor. Er erleidet Schiffbruch in seinem Glauben, schreibt Hilbert. Diese Tragik passe zu seinem Lebensbild – genau wie die Tatsache – dass sein künstlerisches Talent erst nach seinem Tod entdeckt wurde.
Superstar des Justiz-Thrillers
Zum Superstar des Justiz-Thrillers avanciert John Grisham. Der frühe Tod eines Freundes führt dazu, dass er sich mit existentiellen Fragen auseinandersetzt. Grisham setzt sich nicht nur für soziale Gerechtigkeit ein, sondern bekennt sich auch dazu, ein „überzeugter Gläubiger“ zu sein. Viele Romane weisen deutliche christliche Bezüge auf. Er äußerte sich einmal: „Ich will als Christ schreiben, aber ich schreibe keine christliche Literatur.“
Von seinem Elternhaus und der Welt seiner Kindheit spricht der Schriftsteller Hermann Hesse im Rückblick als „heilig“ und von einem „Paradies“. Dennoch opponierte und polemisierte er während seiner Pubertät gegen den Glauben der Eltern. Trotz Hesses zunehmender Aggressivität reagiert sein Vater mit unveränderter Liebe. Aufgrund von unterschiedlichen Religionen und Glaubensweisen entwickelte Hesse ein eigenes religiöses Verständnis. Die authentisch gelebte Frömmigkeit seiner Eltern hat ihn beeindruckt, für sich übernehmen wollte er sie aber nicht.
Das Buch bietet einen guten Überblick mit spannenden Lebensgeschichten. Dazu gibt es auch einen interessanten Überblick über die Geschichte der jeweiligen Zeit. Zugleich macht das Buch deutlich, wie unterschiedlich Kinder ihre Elternhäuser wahrnehmen und wie sie darauf reagieren. Sie alle hatten an dem „geistigen Gepäck“, das ihnen ihre Eltern mitgegeben haben, zu tragen – aber zugleich ein hohes Maß an Liebe und Zuwendung, das sie in ihrem Elternhaus erfahren haben. (pro)
Von: jw