Vom Knast auf die Kanzel

In dem Buch „Der Prediger“ schildert ein verurteilter Verbrecher seinen Lebensweg, und wie er in der Haft zu Gott findet. pro hat mit dem Mann über Schuld und Vergebung gesprochen, der heute im wirklichen Leben Prediger ist.
Von PRO
Bevor er auf die Kanzel durfte, musste „Der Prediger” 17 Jahre Haft verbüßen
An seinem Hochzeitstag begeht er 1972 eine schwere Straftat. Im Gefängnis wird Bernhard Duchois zur Nummer „3456 von 1972.“ Lebenslänglich. Eine Nummer, die gedemütigt wird von Wärtern und Mithäftlingen. In der Haft findet er zum Glauben, studiert Theologie und wandelt sich zum Prediger.

pro: In Ihrem Buch, das im Herbst erschienen ist, nennen Sie sich selbst Bernhard Duchois. Sie möchten anonym bleiben. Bleiben wir also bei dem Namen. Herr Duchois, Sie haben wegen eines Gewaltverbrechens eine mehrjährige Haftstrafe im Ausland verbüßt. Warum?

Der Prediger: Ich habe mit meiner Frau einen gemeinsamen Versicherungsbetrug geplant. Scheinheilig hatte ich jedoch andere Pläne. Ich habe damals im Alter von 21 Jahren meine frisch vermählte Frau von einer Klippe gestoßen. An den Verletzungen ist sie dann gestorben. Leidenschaftlich plädierte ich bei den Verhören und vor Gericht darauf, dass ich unschuldig bin. Damals hatte ich nicht die Kraft, meine Schuld einzugestehen. Diese Kraft bekam ich erst einige Jahre später, als Gott mir seine Liebe schenkte. Nach rund 45 Jahren Nachdenkens und Nachfühlens habe ich leider eine knappe Antwort: Ich weiß es nicht. Ich bin mir bewusst, dass einige Faktoren sicherlich dazu beigetragen haben: Sei es eine brutale Kindheit, sei es der Versuch meines Vaters meine Mutter zu töten, sei es Geldgier oder die Vorstellung, was ich mir von dem Geld hätte leisten können, sei es das Böse selbst, das ich nicht unterschätze. Viele andere ‚Gründe‘ fallen mir ein, aber auch eine Kombination von allen Möglichkeiten ergibt für mich kein Endergebnis. Leider Gottes – ich weiß es einfach nicht.

Konnten Sie nach 17 Jahren in Haft noch einmal mit Ihren ehemaligen Schwiegereltern reden?

Nein, ich habe nach dem Verhör nie wieder mit meinen ehemaligen Schwiegereltern geredet. Auch meinte ich nach einigen Jahren, dass ich nicht das Recht habe, meine Schwiegereltern um Vergebung zu bitten. Sie hatten meiner Meinung nach das Recht, bis zur äußersten Grenze sauer auf mich zu sein. Bei meiner Entlassung aus dem Gefängnis waren beide schon verstorben.

Welche Bedeutung kommt Vergebung zwischen Menschen zu?

Vergebung ist das A und O des menschlichen Zusammenlebens. Für mich stellt sich das mit Vergebung so dar: Weil Gott uns bereits vor 2.000 Jahren alle unsere Sünden vergeben hat, brauchen wir Menschen dieses wunderbare Geschenk nur zu öffnen und anzuwenden. Ich empfinde es als absolut wichtig, den Menschen, die von diesem Geschenk nichts wissen, erstens zu sagen: Bitte, öffne dich. Und zweitens ihnen mitzuteilen, dass Gott bereits Vergebung geschenkt hat.

Wie würden Sie einem Glaubensfernen das neutestamentliche Konzept von „Gnade“ und „Vergebung“ deutlich machen?

Im Film „Der Prediger“ kam eine kleine Zeile, die eine Antwort anbietet: Wenn ich Gnade und Vergebung, am wenigsten verdiene, dann braucht der Mensch es am meisten. Ich lade immer wieder dazu ein, dass gute Eltern ihren Kindern vergeben. Egal, was sie tun. Genauso ist es mit Gott. Er vergibt uns, seinen Kindern, egal was wir tun. Mögen wir diese göttliche Gnade und Vergebung annehmen und anwenden.

Was haben Sie in Ihrem Lebenslauf für die Bewerbung um die Pfarrstelle geschrieben?

Ich habe in meinem Lebenslauf lediglich vom Aufenthalt an der offiziellen Adresse des Gefängnisses geschrieben und keinen Grund genannt. Erst in einem persönlichen Gespräch habe ich mich dann voll offenbart. Mein Chef, die direkten Kollegen, das ganze Presbyterium in meiner Gemeinde wissen um mich. Auch einige Menschen im Dorf haben über meine Vergangenheit erfahren. Bis jetzt akzeptiert mich jeder so, wie man mich kennt. Ich sage allen Menschen die Wahrheit. Ich habe noch nie nach meiner Bekehrung wegen meiner Biografie gelogen. Natürlich kann ich auch eine Wahrheit beschreiben, indem ich Passagen auslasse, oder anders beschreibe. Zum Beispiel kann ich wahrheitsgemäß sagen, dass ich im Gefängnis gearbeitet habe. Falls eine Bemerkung kommen sollte wie: „ … als Häftling …?“, dann würde ich nur wahrheitsgemäß wortlos lächeln. Menschen haben die Fähigkeit, Fakten so mitzuteilen, dass es dem anderen und einem selbst gut tut.

Schauen Sie sich Krimis im Fernsehen an?

Nein, ich lese leidenschaftlich gerne und viel. Zuerst täglich die Bibel in verschiedenen Sprachen. Dann theologische Bücher zum Thema Schuld, Sühne, psychische Erkrankung, geistige Behinderung, Geschichte, Philosophie und gute Biografien.

Wie bewerten Sie die Darstellung von Gewalt in den Medien?

Schlimm. Leider ist es allzu menschlich, dass wir unsere eigenen Schatten, die wir in uns tragen, verarbeiten müssen. Doch Filme, in denen ein Darsteller leidenschaftlich seine Feinde abballert, sind unmenschlich. Auch die Berichterstattung, etwa über die Bombardierung in Kundus, der auch Kinder zum Opfer fielen, ist ungöttlich. ‚Kyrie eleison‘ (‚Herr, erbarme dich!‘) ist dafür ein passendes Gefühl.

Als Pfarrer haben Sie Ehen zu schließen. Woran denken Sie dann?

Wunderschöne Gedanken. Gedanken der Zärtlichkeit, die diese zwei Menschen ausüben. Gedanken der Verantwortung, die einer dem anderen schenkt. Gedanken der Verschmelzung, der Ergänzung. Einfach menschlich und göttlich. Ich kann mich nicht erinnern, bei einer Hochzeit an meine Straftat gedacht zu haben. Jeden Tag, jede Stunde, hängt mir meine Tat wie eine Wolke des Bedauerns über meinem Haupt. Ich lebe damit wie mit einer Last, die ich tragen kann – die ich tragen muss.

Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste für eine Ehe?

Ehrliche Zuneigung und der Wille bei Schwierigkeiten in der Ehe für die Ehe mit Herz und Kopf zu kämpfen. Und: Bitte, seid allezeit nett zu euren Kindern. Schenkt ihnen eine liebevolle Konsequenz. Bleibt innerlich immer bei ihnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Norbert Schäfer. (pro)„Der Prediger“, adeo, 288 Seiten, ISBN 978-3863340735, 17,99 Euro Für den gleichnamigen ARD-Film haben Darsteller Devid Striesow und Regisseur Thomas Berger im April den Medienpreis „Goldener Kompass“ des Christlichen Medienverbundes KEP erhalten.
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/detailansicht/aktuell/goldener-kompass-fuer-tatort-kommissar-91809/
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