In „Das ist ja irre“ analysiert der Journalist Henryk M. Broder einmal mehr die alltäglichen Absurditäten deutscher Politik. Der Leser lacht Tränen über Zustände, die eigentlich zum Weinen sind. Eine Rezension von Moritz Breckner
Henryk M. Broder, entsetzt vom Theater der Welt und gleichzeitig voller Selbstironie
Das Vorwort zu „Das ist ja irre“ hat Henryk Broder im Juli dieses Jahres geschrieben, als für aufmerksame Beobachter schon absehbar war, welche Dimensionen die Flüchtlingskrise in Europa annehmen würde. Vielleicht hat Broder auch geahnt, dass die Deutschen just zur Veröffentlichung des Buches Mitte September unter Beweis stellen, dass sie genau jene Gesellschaft bilden, mit deren Definition Broder seine Analyse einleitet:
„Es geht um eine Gesellschaft, die sich so radikal selbst kastriert hat, dass ihr jeder Narr und jede Närrin einreden kann, zwei mal zwei müsse nicht unbedingt vier, es könne auch mal fünf oder dreieinhalb sein – je nach den Umständen. ‚Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg‘, sagt die alternativlose Kanzlerin gern und oft und leistet so der Fiktionalisierung von Realität Vorschub nach dem Motto: die Welt als Wille und Vorstellung. (…) Wenn wir nur richtig wollten, könnten wir sogar den Rhein nach Süden fließen lassen.“
Broders Buch ist in Tagebuchform geschrieben, vom 1. Januar bis zum 30. Juni notiert der Autor Tag für Tag seine Beobachtungen im deutschen Politik- und Medienbetrieb. Dabei kommt keiner gut weg, weder die Kanzlerin, noch Frank-Walter Steinmeier, weder Gregor Gysi noch Claudia Roth, weder die Journalistin Marietta Slomka noch ihr Kollege Claus Kleber. Parteipolitisch und religiös unabhängig steht Broder als Beobachter einem Land gegenüber, das Israel für gefährlicher hält als den Iran, noch immer an die Rettung Griechenlands glaubt und über Maßnahmen zur Gender-Gerechtigkeit diskutiert. Weitere Themen sind die Flüchtlings- und die Ukrainepolitik der Bundesrepublik und die Unfähigkeit vor allem der öffentlich-rechtlichen Medien, angemessen darüber zu berichten.
Wenn aus muslimischen Tätern Opfer werden
Die rethorischen Fertigkeiten, mit denen Broder aufwartet, sind ein Genuss – mal ungeduldig und voller Abscheu („Drei Viertel dessen, was Tagesschau und Heute senden, ist Regierungspropaganda, der Rest Schrott“), mal heiter-sarkastisch („Ein Kind, das im Tschad hungert, hat nichts davon, dass ein Gast bei ,Käfer’ nur die halbe Portion aufisst und die andere Hälfte einpacken lässt.“). Klar, dass Broder dabei im Eifer des Gefechts hier und da für manche Leser über das Ziel hinausschießt, etwa auch dann, wenn er den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ vergleicht. US-Präsident Barack Obama ist für Broder „der größte Versager der jüngsten amerikanischen Geschichte“. Zu den immer neuen Rettungsmilliarden für Griechenland erklärte er: „Es ist, als würde man einem Menschen, der sich vom zehnten Stock eines Hauses in die Tiefe stürzen will, raten, er solle aus dem 20. Stock springen, damit er den Sturz etwas länger genießen kann.“
Die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ergibt für Broder ebensowenig Sinn wie die zwischen Sozialismus und real existierendem Sozialismus. Nach den Anschlägen auf das Magazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt hätten sich Politker geradezu überschlagen, davor zu warnen, Muslime nun unter Generalverdacht zu stellen. Gemessen am öffentlichen Tonfall habe man glatt auf die Idee kommen können, Muslime seien die Opfer der Anschläge gewesen.
Weitere Themen Broders sind der Antisemitimus Martin Luthers, an dem er keinen Zweifel hat, und Dialoge zwischen den Religionen, von denen Broder nichts hält. „Der Dialog ist ein Monolog für zwei Sprecher“, befindet er. „Überall dort, wo ein therapeutischer Dialog arrangiert werden muss, ist die Luft schon raus.“ Der Publizist nennt darüber hinaus zahlreiche Beispiele für die große Rücksichtnahme deutscher Behörden gegenüber Muslimen und für die ausufernden Kosten der EU-Bürokratie. Ausführlich schildert er die Entstehung des Atomabkommens mit dem Iran und erklärt, warum sich kein westlicher Politiker aufrichtig darüber freuen könne.
Dieses Buch ist ist ein Dokument der Zeitgeschichte
Broders Buch ist ein Feuerwerk für alle politisch Unkorrekten. Niemand wird verschont, und entsprechend groß dürfte die Bandbreite derer sein, denen „Das ist ja irre“ sauer aufstößt – vom Zentralrat der Muslime bis in die Elfenbeintürme von Berlin, Brüssel und der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Broder wird seinem eigenen Anspruch, mit diesem Buch Fehlleistungen, Entgleisungen und Täuschungen für die Geschichtsbücher zu protokollieren, gerecht. „Nicht, dass ich die Welt verändern möchte, das war nie meine Absicht“, bekennt er. „Aber ich kann nicht im Welttheater sitzen und Begeisterung heucheln, wenn ich die Vorstellung abstoßend finde.“
Die Welt steht im Herbst 2015 vor gewaltigen Herausforderungen. Broder kann keine Lösungen bieten, das weiß er selbst. „Ich brauche nicht die Fähigkeit, Eier zu legen, um ein faules Ei zu erkennen“, hat er einmal gesagt.
In ferner Zukunft stellt vielleicht ein kluger Kopf die Frage, warum diejenigen Entscheidungsträger, die fürs Eierlegen zuständig sind, nicht wenigstens auf diesen irren, 68-jährigen Publizisten gehört haben, der beim Aussortieren fauler Eier helfen wollte. (pro)
Henryk M. Broder: „Das ist ja irre! Mein deutsches Tagebuch“. Knaus, 351 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 9783813506969
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