Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ ist nicht islamophob, wie viele behaupten. Vielmehr zeichnet er das Bild einer hoffnungsfreien Welt, in der Politik, Medien und auch die Religion versagt haben. Eine Buchbesprechung von Anna Lutz
Michel Houellebecq hat keine Ahnung von Politik, sagt er. Dennoch übt er scharfe Kritik daran
Erinnern Sie sich noch an Enyas Lied „Only Time“? Sicherlich, spätestens beim Hören. Denn ganz unfreiwillig lieferte die Sängerin den Soundtrack zu den Anschlägen des 11. September 2001. „Only Time“ lief in nahezu jeder Dokumentation über die Attentate. Michel Houellebecq hat mit seinem Roman „Unterwerfung“ ebenso unfreiwillig das Buch zu den Anschlägen von Paris geliefert. Am Tag der Morde an den Mitarbeitern von Charlie Hebdo ist sein Werk erschienen, ebenso wie eine Ausgabe des Satiremagazins mit Houellebecq auf dem Cover. Noch dazu fragt „Unterwerfung“, was passiert, wenn in Frankreich einmal eine muslimische Partei an die Macht kommt.
Reflexartig wurde das in den vergangenen Wochen als islamophob bezeichnet. Es ist anzunehmen, dass sich die Charlie Hebdo-Attentäter das Erscheinungsdatum des Buchs bewusst als Anschlagstag ausgesucht haben. Houellebecq steht seitdem unter Polizeischutz. Das beweist vor allem eines: Weder die Anti-Islamophobiker noch die Islamisten haben sein Buch konzentriert gelesen. Denn Houellebecq geht es nur am Rande um den Islam. Sein Staatspräsident Mohammed Ben Abbes ist zwar Muslimbruder und Moslem. Vor allem aber ist er ein Opportunist, der den Islam und das kollektive Versagen von Medien, Linken und Rechten nutzt, um an die Macht zu kommen. So gesehen ist Houellebecqs Buch vieles: politophob, mediophob, christophob, francophob, humanophob und ja, dann auch islamophob. Aber man könnte es auch anders sagen: Houellebcq rechnet mit der Welt ab. Und dabei ist es ihm völlig egal, wen er trifft.
Gewalt und Schockstarre
Die Welt, die Houellebecq in Unterwerfung schafft, liegt nicht weit in der Zukunft und ist auch nicht allzuweit von der französischen Realität der Gegenwart entfernt. Im Jahr 2022 finden Präsidentschaftswahlen statt. Marine le Pen, heute Europapolitikerin, ist im Buch Kandidatin der rechten Front National und liefert sich ein Duell mit Ben Abbes, dem gemäßigten Kandidaten der Muslimbrüder. Begleiterscheinung der Wahl sind gewalttätige Ausschreitungen in und um die Hauptstadt Paris. Vorangetrieben werden sie durch Dschihadisten und eine Gruppe, die sich die „Identitären“ nennt und die abendländische Kultur vor einer Islamisierung schützen will. Die Linken sind als Gegengewicht zu diesen Strömungen in eine Art Schockstarre verfallen, und die Medien haben sich selbst eine Nachrichtensperre auferlegt. Sie berichten nicht über die Unruhen im Land, um der Front National nicht noch mehr Wähler in die Arme zu treiben.
Und was wäre ein Roman von Michel Houellebecq ohne eine sexbesessene männliche Hauptfigur am Rande des Suizids? In „Unterwerfung“ nimmt diese Stelle ein Hochschullehrer für Literatur ein, der regelmäßig die Dienste Prostituierter in Anspruch nimmt, sich mit der wahren Liebe schwer tut und trotz erheblicher Bemühungen nicht Recht zur Religion finden kann. Das Werk des französischen Autors Joris-Karl Huysmans, über das er diverse Arbeiten publiziert hat, ist seine einzige wahre Freude. So strebt er Huysmans in seiner Suche nach Gott nach – besucht ein katholisches Kloster, führt Gespräche mit Geistlichen – nur um am Ende wenig mehr als Belanglosigkeit zu finden. So stört es ihn nur anfänglich, dass der neue muslimische Präsident die Republik nach den Vorstellungen seiner Religion umgestaltet: Frauen verschleiern sich, Universitätslehrer müssen zum Islam übertreten, die Mehrehe wird erlaubt, und Arabisch wird zur vielgesprochenen Sprache. Hostessendienste gibt es nach wie vor, ebenso wie Alkohol. Wie gesagt, Ben Abbes ist Opportunist.
Chronist des Untergangs
Houellebecq hat alle Lesungen seines Buches in Frankreich abgesagt. Am Montag trat er unter größten Sicherheitsvorkehrungen in Köln auf. Niemand verkörpert die Gefühlswelt seiner Romane so sehr wie der Autor selbst. In grünem Parka, blauem Jeanshemd, zu kurzer Hose und mit der stets zerzausten Mähne, trat er vor die Fotografen, inszenierte sich einmal mehr als Chronist des Ungergangs und steckte sich im Laufe der Lesung auch die zu seinem Standard gehörende Zigarette an.
Nun ist Houellebecq aber nicht mehr nur der Autor von „Elementarteilchen“, „Ausweitung der Kampfzone“ und „Karte und Gebiet“. Er hat das Buch geschrieben, das von nun an mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo verwoben sein wird. Deshalb gab er gleich zu Beginn der Lesung eine Erklärung an die Presse ab. „Unterwerfung ist kein islamophobes Buch“, sagte er. Aber selbst, wenn es eines wäre: „Jeder hat das Recht, ein solches Buch zu schreiben.“ Es sei die Aufgabe des Staates, Künstler zu schützen, auch wenn sie gezielt verantwortungslos mit ihrem Werk umgingen wie die Autoren von Charlie Hebdo. Die Journalisten dort seien Sturköpfe gewesen. „Aber man muss auch kein Held sein, um Heldenhaftes zu tun“, sagte er. Vor dem Hintergrund der aus politischer Korrektheit schweigenden Medien in seinem Roman kann das als Aufruf verstanden werden: Journalisten, seid verantwortungloser, vielleicht kommt dabei etwas Gutes heraus.
Andererseits zeigte sich auch Houellebecq besorgt über ein künftiges Erstarken der Front National. „2017 wird Frankreich noch weiter rechts stehen als 2012“, erklärte er, bemühte sich angesichts der politischen Fragen auf der Bühne dann aber, es so zu halten wie seine Hauptfigur im Buch: „Ich habe keine Ahnung“, sagte er über die Politik, nur um eben jene Politikverdrossenheit zugleich als Grundbaustein einer französischen Krise zu identifizieren: „Die Menschen sind so politisch wie ein Handtuch.“ Zigarette, Fusselhaare, grüner Parka, Weltuntergang: Das ist Michel Houellebecq, das ist er seit Jahrzehnten. Die Welt hat sich seit den Morden in Paris nicht verändert, ruft sein Auftritt. Sie war schon vorher hinüber. (pro)
Michel Houellebecq: „Unterwerfung“, Dumont, 272 Seiten, 22,99 Euro, ISBN 978-3-8321-9795-7
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