Als Professorin und Geschäftsfrau kann sich Maggie Gobran Luxus leisten. Doch nach einem Besuch im Slum Kairos will sie den Kindern im Müll helfen – und gibt dafür ihr bisheriges Leben auf. Eine Rezension ihrer Biografie von Jonathan Steinert
Für die Kinder in der Müllstadt Mokattam, einem Stadtteil von Kairo, ist Maggie Gobran einfach nur „Mama Maggie“. Jetzt ist eine Biografie über sie erschienen
Als Maggie Gobran die Tür des Kleinbusses öffnet, wird sie von Gestank fast erschlagen. Müll, Abgase, Fäkalien und verbranntes Plastik machen das Atmen unerträglich. Sie sieht, wie Frauen und Kinder in den gesammelten Abfällen der ägyptischen Hauptstadt wühlen und Rohstoffe suchen. Davon leben die Menschen in diesem Stadtteil Kairos. Ratten, so groß wie Katzen, tummeln sich auf den Müllbergen. Gobran ekelt sich. Nur eine knappe Stunde dauert ihr erster Besuch im Slum der Millionenmetropole, in der Müllstadt Mokattam. Doch der üble Geruch verfolgt sie bis nach Hause – und auch das Elend der Menschen, das sie dort gesehen hat.
Das Buch „Maggie Gobran. Die Mutter Teresa von Kairo“ erzählt, wie dieses Erlebnis das Leben von Gobran veränderte. Die Biografie ist am 14. Januar bei adeo erschienen. Magda Gobran-Gorgi wurde 1949 als viertes von fünf Kindern einer koptischen Familie geboren. Sie lernt Klavier und liebt den Sport – Tennis, Schwimmen, Wasserballett. Ihre Eltern fördern sie in allen Bereichen. Später studiert sie Betriebswirtschaft und Informatik an der Amerikanischen Universität von Kairo, arbeitet in der Werbe- und Marketingbranche, unter anderem als Marketingchefin von BMW in Ägypten, und wechselt schließlich ohne Habilitation als Professorin für Informatik an die Universität. Mit ihrem Mann, einem studierten Betriebswirtschaftler, hat sie zwei Kinder.
Gobran ist zufrieden mit ihrem Leben. Nobelrestaurants, Luxushotels, Designerkleider, Schmuck und ein schicker Mercedes gehören für sie dazu. Ihre Tochter Ann gibt in der Schule damit an, wie elegant und schick ihre Mutter ist. Zu Ostern und Weihnachten verteilt die koptische Christin mit anderen Frauen aus ihrer Gemeinde Lebensmittel an Arme. „Wir verteilten unsere Geschenke, gingen nach Hause und vergaßen die Armen im Alltag bald wieder“, erzählt sie. Aber je öfter Gobran die Elendsviertel besuchte, desto weniger konnte sie vergessen. „Warum lässt Gott es zu, dass Menschen so leben, wenn er barmherzig ist?“ Auf diese Frage will sie eine Antwort finden.
„Mama Maggie“
Das Buch schildert anschaulich, wie Gobran aus ihrer Welt der wohlhabenden Mittelschicht in die Welt des gesellschaftlichen Abschaums, der Müllsammler des Armenviertels Mokattam eintaucht und dort ihre Berufung findet. Es beschreibt die anfänglichen Berührungsängste genauso wie das innere Ringen, ob sie sich wirklich darauf einlassen sollte. Denn die Konsequenzen, die Gobran dann für ihr Leben zieht, sind radikal. Sie tauscht nicht nur ihre eleganten Kleider gegen ein schlichtes weißes T-Shirt und lässt den Mercedes in der Garage stehen. Sie gibt auch ihre geliebte Arbeit an der Uni auf und verkauft ihren Schmuck und ihr Erbe, um mehr Zeit und Geld für die Armen zu haben. Ihre Familie ist nicht nur begeistert davon, unterstützt sie aber je länger, desto mehr.
Anfangs besucht Gobran zusammen mit drei anderen Helfern jede Woche 25 Familien, bringt ihnen Lebensmittel, Kleidung und Decken mit, klärt sie über Hygiene auf und erzählt ihnen Geschichten aus der Bibel. Das Team versucht, die Not zu lindern und den Armen vor allem eines zu zeigen: Auch sie sind geliebte Menschen. Nach knapp einem Jahr organisiert Gobran für die Kinder, die sie bei den Besuchen kennengelernt hat, ein Wochenendcamp außerhalb des Slums: Duschen, warmes Essen, spielen und ein warmes Bett. Bald ist Gobran für die Kinder nur noch „Mama Maggie“.
Gobran finanziert zunächst alles aus eigener Tasche. Aber auch Freunde, ihre Familie und Bekannte aus der Wirtschaft helfen ihr. Mit den Jahren gewinnt Gobran immer mehr Mitstreiter dazu. Heute, nach 25 Jahren, sind es über 1.000. Die Hilfsaktion nennt sich „Stephen‘s Children“ und hat 95 Kindergärten, von denen 80 eine ambulante Klinik beherbergen, und fünf berufliche Ausbildungszentren. Doch die persönlichen Besuche bei nunmehr 32.000 Familien sind nach wie vor der Schwerpunkt der Arbeit. Auch Organisationen aus dem Ausland unterstützen sie. Das Modell macht in Äthiopien, im Sudan und der Türkei Schule. Seit 2009 wurde Gobran, die „Mutter Teresa von Kairo“, wie sie öffentlich auch genannt wird, jedes Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert.
Ganz oder gar nicht
Der Fotograf Christoph Jorda hat für das Buch sehr ausdrucksstarke Bilder vom Kairoer Slum und Porträts von Gobran beigesteuert. Auch die Autorinnen Judith Kubitscheck und Judith Kühl waren für ihre Recherche selbst in Kairo. Sie haben Gobran zu den Müllsammlern in Mokattam begleitet, mit Mitarbeitern und auch mit Gobrans Familie gesprochen. Das Buch lebt von den konkreten Beschreibungen verschiedener Begegnungen und Erlebnisse Gobrans. Dadurch kommt der Leser den Menschen der Müllstadt und ihren Lebensumständen sehr nahe und lernt Gobran kennen. Dies verflechten die Autorinnen immer wieder mit verschiedenen biografischen Abrissen. An manchen Stellen irritieren diese Sprünge in die Schul- oder Studienzeit etwas. Doch dadurch gelingt es zum einen, die krassen Kontraste in Gobrans Leben zu verdeutlichen. Zum anderen zeigen sie, dass Gobrans Leben für die Müllkinder nicht losgelöst ist von ihren vorherigen Erfahrungen.
Das Buch vermittelt das Bild einer Frau, die eine Sache entweder ganz oder gar nicht anpackt. Gleichzeitig erfährt der Leser, wie tief Gobrans Leben bei aller Umtriebigkeit in ihrem christlichen Glauben verankert ist. Daraus schöpft sie Kraft und das gibt sie an die Armen weiter. Die Menschen in der Müllstadt sind Kopten, aber vor allem die Kinder wüsten oft nicht, was das eigentlich bedeutet, erklärt Autorin Kubitscheck im Gespräch mit pro.
Ist die Darstellung Gobrans im Buch nicht zu positiv?, mag man sich als Leser fragen. Zwar kommen Mann und Kinder Gobrans auch mit kritischen Aussagen über ihr Engagement zu Wort, aber insgesamt spricht aus allen eine ungeheure Wertschätzung. Kubitscheck selbst teilt den Eindruck: „Wir haben in Ägypten erlebt, dass unglaublich viele Leute von ihr als Person fasziniert waren“, sagt sie.
Das Geheimnis der Großzügigkeit
Dazu trägt sicher auch Gobrans Haltung bei: Es geht ihr nicht um ihre Person. Das wird in vielen Zitaten und Begegnungen, die im Buch geschildert werden, deutlich. Sie möchte eine „Heilige“ sein, sagt sie – nicht unfehlbar, sondern „eine Frau, deren Leben in Gottes Augen und für die Menschheit eine Bedeutung hat“. Das lernt sie auch von den Armen: Als Gobran einem barfüßigem Kind neue Schuhe kaufen möchte, besteht das Mädchen darauf, die Schuhe ein paar Nummern größer zu nehmen – für seine Mutter. Im Camp beobachtet Gobran, wie einige Kinder nur ein paar Bissen von ihrem Hähnchenschenkel nehmen. Den Rest stecken sie ein, für ihre Geschwister. Oder die 13-jährige Mary, die trotz ihrer Armut betet: „Gott, ich danke dir für so viele schöne Sachen, die du uns gibst: die Sonne, die Luft, dass wir Brot haben, den Schlaf heute Nacht …“ Gobran fragt sich: „Wer hat dieses Kind gelehrt, so dankbar zu sein? Woher haben diese Menschen eine solche Großzügigkeit?“
Diese Erlebnisse führen Gobran zur Antwort auf ihre eigenen Fragen: Zwar weiß sie nicht, warum Gott das Leid dieser Menschen zulässt. Aber sie weiß, „dass diese Menschen mir helfen, ein besserer Mensch zu werden. Diese Kinder zeigen mir, dass Gott selbst unter den Armen wohnt und dass sein liebevoller Blick auf ihnen ruht.“ Diese Erkenntnis wird auch den Leser nicht unberührt lassen. (pro)
Judith Kubitscheck/Judith Kühl: „Maggie Gobran. Die Mutter Teresa von Kairo“, 255 Seiten, adeo, 17,99 Euro
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