„Herr der Ringe“ ist ein Genre für sich

J.R.R. Tolkiens Geschichte „Der Herr der Ringe“ entstand vor 60 Jahren. Fantasy-Experte Christian Rendel über Tolkien und das Weltbild seiner Fantasy-Romane.
Von PRO
Vor 60 Jahren schrieb Tolkien den Herr der Ringe.  Das christliche Weltbild sei in der Trilogie klar vorhanden, meint Christian Rendel
Die britischen Fantasy-Autoren C.S. Lewis und J.R.R. Tolkien waren nicht nur Kollegen, sondern auch gute Freunde. Beide haben sich sagenhafte Welten ausgedacht und Geschichten über Abenteuer und Machtkämpfe geschrieben. C.S. Lewis steht für die Narnia-Bücher, Tolkien hat den Herrn der Ringe geschrieben, der heute 60 Jahre alt wird. Christian Rendel liebt beide Buchreihen, die Narnia-Reihe hat er sogar ins Deutsche übersetzt. Er ist Mitglied der Inkling-Gesellschaft, die sich besonders mit den Büchern von Tolkien und Lewis beschäftigt.

Herr der Ringe feiert 60. Geburtstag. Was fasziniert Sie an Tolkiens Werk?

Tolkiens „Herr der Ringe“ und das ganze Werk, das als Hintergrund dahintersteht, ist eigentlich ein Genre für sich. Ein absolut einzigartiges Werk. Es ist eine riesige Erzählung, aber es ist noch viel mehr als das. Tolkien hat eine Welt mit einer eigenen Sprache, eigener Geschichte bis hin zur Kosmologie geschaffen. Daran hat Tolkien viele Jahrzehnte gefeilt. Er hat das so detailliert ausgestaltet, dass man – sobald man den „Herrn der Ringe“ selbst liest – das Gefühl hat, ein ganz neues Universum zu betreten. Das haben seither viele Autoren versucht nachzuahmen, aber es ist eigentlich keinem so richtig gelungen. Tolkien steht da ganz einzigartig für sich.

Aber auch C.S. Lewis hat mit Narnia eine eigene Welt kreiert. Wieso wird C.S. Lewis in christlichen Buchläden verkauft, Tolkien aber nicht?

Tolkien und Lewis sind mit ihrem Christentum sehr unterschiedlich umgegangen. Lewis hat – schon lange bevor er die Narnia-Bücher geschrieben hat – christliche apologetische Werke geschrieben. Er war von Anfang an sehr kämpferisch in der Art und Weise, wie er seinen Glauben nach außen getragen hat. Tolkien war in der Hinsicht ganz anders. Er hat zwar durchaus auch über seinen Glauben gesprochen – zum Beispiel ist C.S. Lewis selbst unter anderem durch ein Gespräch mit Tolkien zum Glauben gekommen – aber diese Gespräche hat er eher auf den privaten Bereich beschränkt. Nach außen hin hat er sich als Erzähler und Wissenschaftler betätigt. Wenn man sich im Vergleich die Narnia-Bücher und den „Herrn der Ringe“ anschaut, merkt man, dass der christliche Inhalt in den Narnia-Büchern sehr viel deutlicher und offensiver zutage tritt als im „Herrn der Ringe“. Das christliche Weltbild ist im „Herrn der Ringe“ ganz klar vorhanden. Aber man muss schon zwischen den Zeilen lesen, um es zu entdecken.

Welche Werte sind das denn konkret, die „Herr der Ringe“ vermittelt?

Der „Herr der Ringe“ vermittelt durch die ganze Hintergrundwelt und die dahinterstehende Mythologie zunächst einmal eine christliche Kosmologie. Das bedeutet, es ist eine von einem Gott erschaffene Welt. So gibt es auch eine Parallelfigur zu Satan. Im Grunde handelt es sich um den Kampf eines abgefallenen Engels gegen den Schöpfergott. Als Roman ist der „Herr der Ringe“ eine Art Mikrokosmos. Im Kampf um den Ring wird diese Auseinandersetzung noch einmal kristallisiert. Über diesen groben Rahmen treffen die einzelnen Figuren immer wieder ethische Entscheidungen, die von christlichem Gedankengut geprägt sind. In einzelnen Szenen scheint dieses Weltbild immer wieder durch, zum Beispiel wenn Gandalf an einer Stelle zu Frodo sagt, dass dieser dazu bestimmt sei, den Ring zu tragen und zu vernichten.

Der „Herr der Ringe“ erfreut sich quer durch alle Gesellschafts- und Bildungsschichten großer Beliebtheit. Früher war es die Hippie-Bewegung, heute sind es viele Kino- oder Fantasyfans. Wie erklären Sie sich das?

Christian Rendel: Den Effekt hat man bei den Narnia-Büchern auch. Die werden ebenfalls von ganz verschiedenen Leserkreisen geliebt. Beim „Herrn der Ringe“ ist das noch stärker der Fall – eben gerade weil das Christentum nicht so ausdrücklich formuliert wird, sondern eher auf versteckte Weise. Eine ganze Reihe der ethischen Gedanken sind vielfältig anwendbar. Es gibt die verrücktesten Auslegungen und Theorien darüber. Viele davon hat Tolkien selbst entkräftet. Ein Beispiel: es gibt Theorien, dass der Ring ein Bild für die Atombombe sein soll. Das hat Tolkien entkräftet, indem er sagte, dass der Ring sehr viel älter als die Atombombe ist. Das Beispiel zeigt aber, dass viele die Geschichte als Allegorie auslegen wollen. Manche haben sich daran die Zähne ausgebissen.

Wie geht es denn Ihnen persönlich? Gibt es Stellen im Roman, die Ihnen als Christ Bauchschmerzen bereiten?

Mir persönlich macht nichts Bauchschmerzen. Ich kann aber verstehen, wenn es Leuten so geht. Was mir persönlich noch am ehesten fremd ist, sind die Schlachtenszenen und die dahinterstehende Kriegsethik. Ich kann mir das zwar rational erschließen, indem ich sage: In dieser Welt hat das alles seine Berechtigung und auch seine logische Folgerichtigkeit. Aber es hat natürlich für einen Menschen, der in unserer christlichen Kultur aufgewachsen ist, etwas Fremdes. Man muss das aber im Kontext der Zeitgeschichte sehen. Große Teile des „Herrn der Ringe“ und seiner Mythologie sind in Kriegszeiten entstanden. Tolkien selbst hat beide Weltkriege erlebt. Er hat zu diesen Dingen also auch aus persönlicher Lebenserfahrung einen ganz anderen Zugang als wir heute.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Dieser Artikel ist bei ERF Online erschienen. Wir danken für die Genehmigung zur Veröffentlichung auf unserer Webseite.
https://www.pro-medienmagazin.de/kultur/buecher/detailansicht/aktuell/das-universum-in-einer-geschichte-87962/
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