„Das Kind, das noch 36 Jahre zu leben hat, wird gejagt.“ So beginnt der US-Bestseller „Killing Jesus“, mit dem O‘Reilly und Dugard sich eine Aufgabe gestellt haben, an der vor ihnen schon viele gescheitert sind. Exemplarisch sei etwa die Jesus-Buchreihe der ehemaligen Vampir-Autorin Anne Rice genannt, die umstrittene Quellen wie das Thomas-Evangelium verwendete. Oder die Christus-Biografie des Journalisten Peter Seewald, ein 704 Seiten starker Wälzer, den so mancher allein wegen seiner Länge schnell wieder aus der Hand gelegt haben mag. Mit Bill O‘Reilly hat sich auch im Fall von „Killing Jesus“ ein profilierter Journalist der Geschichte Jesu angenommen. O‘Reilly ist Moderator einer der meistgesehenen Sendungen in den USA: Dem „O‘Reilly Factor“ auf Fox News. Dort profiliert er sich als Konservativer und nicht selten auch als Beschützer christlicher Werte.
Soviel sei schon verraten: In „Killing Jesus“ tut er das nicht. Diese Jesus-Geschichte ruft nicht zum Glauben auf, auch wenn die Autoren ihren Respekt vor der Person Jesus nicht verhehlen. Gut 300 Seiten füllen die Autoren mit dessen Geschichte. Um sein Leben und Sterben möglichst detailgetreu darstellen zu können, bedienen sie sich der Evangelien, aber auch anderer geschichtlicher Überlieferungen wie die des jüdischen Historikers Josephus. Dabei beweisen sie Mut zur Lücke. Die Jugendzeit Jesu blenden sie fast gänzlich aus, ebenso wie etwa seine Fastenzeit in der Wüste – zu wenig weiß man jenseits des christlichen Glaubens gesichert über diese Szenen aus dem Leben Christi. Zwei Drittel des Buches beschäftigen sich mit den letzten vier Jahren im irdischen Leben Jesu, angefangen mit der Taufe des Johannes bis zu seinem Tod am Kreuz.
Wegbegleiter im Rampenlicht
Viel Raum gewähren die Autoren auch den zahlreichen Wegbegleitern von Jesus, seien sie ihm nun freundlich oder feindlich gesinnt gewesen. Da wäre zum Beispiel König Herodes, der aus Angst vor dem kommenden Gesandten Gottes seinerzeit alle Kleinkinder in Betlehem töten ließ. O‘Reilly und Dugard zeigen ihn als gichtgeplagten und machtbesessenen Herrscher mit Lungenproblemen, Würmern, einem schwachen Herzen, Geschlechtskrankheiten und Wundbrand, als einen Mann, der sogar seine eigenen Söhne umbringen ließ, um sich den Thron zu sichern. Auch die damalige Lage in Galiläa ist Thema des Buchs. Viele Einwohner der Region seien unterernährt gewesen, weil Rom ihnen einen Großteil ihrer Nahrungsmittel abverlangt habe. „Und während sie Hunger leiden, ihnen die Haare ausfallen und sowohl die Kraft als auch Hoffnung schwinden, gärt in ihnen still die Wut. Aber anstatt Rom oder Caesar Augustus für ihr Leid verantwortlich zu machen, beginnen die Menschen in Galiläa, ihre Wut gegeneinander zu richten.“ Dies ist die Welt, in der Jesus von Nazareth wirkte. Eine Zeit, in der bösartige Herrscher ihr Unwesen trieben und die normalen Bürger sich nichts gönnten, aus Angst, dabei selbst auf der Strecke zu bleiben. Eine Zeit also, in der die Sehnsucht nach einem mächtigen Retter größer nicht hätte sein können.
Jesus Christ Superstar
Dann betritt Jesus die Bühne des Weltgeschehens, predigt den Armen Versöhnung und den Reichen Abkehr von Eitelkeiten. Das macht ihn schnell zum Star, bringt ihn aber auch in Lebensgefahr: „Jesus wird nie ein Buch schreiben, kein Lied komponieren und kein Bild malen. Aber von jetzt an werden in den folgenden zweitausend Jahren, nachdem Milliarden Menschen seine Botschaft vernommen haben, mehr Bücher über sein Leben geschrieben, mehr Lieder zu seinen Ehren gesungen und mehr Kunstwerke in seinem Namen geschaffen werden als für jeden anderen Menschen der Weltgeschichte“, beschreiben die Autoren die Faszination um diesen überaus intelligenten aber auch bestimmten Mann. Dem spürt der Leser den Respekt vor dem biblischen Zeugnis ab, darf sich aber auch an ausführlich recherchierte Kleinigkeiten freuen, etwa wenn O‘Reilly und Dugard das genaue Aussehen damaliger Fischerboote beschreiben. Dabei kommt auch Überraschendes zutage, etwa, dass Fischer wie Petrus in der damaligen Zeit oft nackt gearbeitet haben, damit sie leichter nach Fischen tauchen konnten.
Der wohl größte Verdienst, den die Autoren mit „Killing Jesus“ leisten, ist, dass sie alle Ereignisse der Evangelien, angereichert durch historisch belegte Details, in eine chronologische Reihenfolge bringen. Es ist, als hätten sie Markus, Matthäus, Johannes und Lukas an einen Tisch gesetzt und ließen sie abwechselnd erzählen: Von der Berufung der Jünger, der Bergpredigt, dem Tod des Johannes, dem Leben des geldgierigen Judas Ischariot, den Machtspielen, die zu Jesu Verrat und dessen Tod führten. Warum zum Beispiel stimmten die Römer letztendlich der Hinrichtung Jesu zu, wenn diese Strafe doch nur nach jüdischem Gesetz auf Gotteslästerung stand, derer die Pharisäer Jesus anklagten? Es sind Fragen wie diese, die sich mancher Christ nicht einmal gestellt haben mag – „Killing Jesus“ beantwortet sie. Ebenso räumt es mit bösartigen Vorurteilen auf, etwa, dass das Neue Testament antisemitisch sei, weil es die Juden als Jesus-Mörder zeige: „Es sind nicht die jüdischen Pilger, die Jesus tot sehen wollen, auch nicht die normalen Einwohner Jerusalems. Nein, es ist eine Handvoll Männer, die sich durch den Tempel bereichern. Für sie ist ein Mensch, der die Wahrheit ausspricht, weit gefährlicher als ein Massenmörder“, heißt es im Buch.
Das Grab ist leer
Auch die Folter- und Hinrichtungsmethoden, die Jesus erleiden musste, finden sich bei O‘Reilly und Dugard. Das mag dem ein oder anderen Leser zu viel der Brutalität sein. Andererseits sind diese Details spätestens seit der Verfilmung „Die Passion Christi“ auch Nicht-Historikern bekannt. „Killing Jesus“ versteht sich als Doku-Thriller. Bleibt die Frage, ob die Auferstehung darin Platz findet. Die Antwort lautet: Jein. Am Ende schildern die Autoren, wie Maria Magdalena und eine weitere Frau namens Maria das leere Grab vorfinden. „Bis heute wurde der Leichnam des Jesus von Nazareth nicht gefunden“, endet das Buch. Erst im Nachwort geht es auf den christlichen Glauben der Auferstehung ein.
„Killing Jesus“ habe sie vor enorme Probleme gestellt, schreiben O‘Reilly und Dugard an dieser Stelle. Damit dürften sie nicht nur die Schwierigkeit der historischen Recherche meinen. Mit wenigen Geschichten läuft ein Autor derart Gefahr, religiöse Gefühle zu verletzten wie mit der Nacherzählung des Lebens von Religionsstiftern. Erstaunlicherweise gelingt den beiden diese Gradwanderung. Vielleicht auch deshalb, weil sie immer wieder deutlich ihre Ehrfurcht vor der Person Jesus selbst zum Ausdruck bringen – und nicht erklären, ob sie in ihm Gott oder schlicht einen außergewöhnlichen Menschen sehen. Doch der Roman hat auch Schwächen: Arg lang wirken einige der Ausführungen über das Römische Reich, nicht immer wird klar, warum diese zum Verständnis der Jesus-Geschichte wichtig sind. Zudem nähern sich die Autoren der Person Jesus nicht wirklich. Was er fühlt, denkt, hofft, glaubt, ist nicht Thema des Buchs. Jene Tiefe fällt der historischen Genauigkeit zum Opfer. „Killing Jesus“ ist kein dezidiert christliches Buch. Es handelt nicht vom Glauben, sondern von dem, was wir wissen. So bietet es neue Perspektiven. Auch für Kirchenferne. (pro)
Bill O‘Reilly und Martin Dugard: „Killing Jesus – Die wahre Geschichte“, Droemer Knaur, 336 Seiten, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-426-27630-3