Susanne Geske erinnert sich genau an den Tag und die Ereignisse, als ihr Ehemann ermordet wurde. „Er zieht seine Strickjacke aus und hängt sie sorgfältig über den Lehnstuhl, neben dem sein Schirm steht. Er will mit der Übersetzung der Studienbibel vorankommen, an der er gesessen hat […]. Seine Kollegen Necati Aydin und Ugur Yüksel bereiten sich im Raum nebenan auf die Begegnung mit fünf augenscheinlich interessierten Muslimen vor.“ Doch statt sich über den christlichen Glauben zu informieren, fesseln die jungen Muslime die drei Christen. Sie werden gefoltert, anschließend stechen die Muslime mehrmals mit Messern auf sie ein, ehe sie ihnen die Kehle durchschneiden.
Susanne Geske erfuhr nicht sofort, was mit ihrem Mann und seinen beiden Mitarbeitern geschehen war. Die Polizei war angerückt, hatte die ersten Ermittlungen aufgenommen, die drei Christen waren in ein Krankenhaus gebracht worden. Erst nach Stunden der Ungewissheit packte sie den leitenden Beamten im Krankenhaus an der Jacke. „‚Sagen Sie mir, was Sie wissen!‘, befiehlt sie. ‚Sagen Sie mir, ob mein Mann noch lebt oder nicht!‘ Sie blickt ihm direkt ins Gesicht. ‚Ist er tot?‘ Die Antwort bricht ihr das Herz. ‚Ja‘, sagt der Beamte. Es ist der 18. April 2007.“ Ihrer Tochter muss sie am Telefon beibringen, dass ihr Vater ermordet worden ist.
Am Dienstag erscheint das Buch mit dem Titel „Ich will keine Rache – Das Drama von Malatya“ im Brunnen Verlag. Dabei definiert der Titel auch den Grund, warum Susanne Geske sich an die Darstellung der Ereignisse gewagt hat. Schon im Vorwort beschreibt sie, was sie empfindet, wenn sie den fünf Mördern ihres Mannes im Gerichtssaal begegnet: „Ich sehe sie als fünf gewöhnliche junge Männer, die ihr Leben durch diese Tat verpatzt haben. Vom ersten Moment an habe ich mich dazu entschieden, ihnen zu vergeben.“ Es geht ihr nicht darum, ihren Zorn oder Ärger über die Mörder ihres Mannes zu verarbeiten. Sie will lediglich berichten, ihre Erinnerung an ihren Mann mit anderen teilen und Einblick geben in die Arbeit von Tilmann Geske, der als Missionar für seinen Glauben mit dem Leben bezahlte.
Die Auferstehungsbotschaft dringt zu den Menschen durch
In Malatya gründete Tilmann Geske zunächst seine eigene Firma „Silkroad Consulting“ gegründet. Er bietet hauptsächlich Englisch- und Deutschunterricht an, nebenbei auch Übersetzungsarbeiten. Der theologische Hintergrund und die Vielsprachigkeit des Missionars prädestinierten ihn für die Arbeit an einer neuen türkischen Studienbibel, an der er ebenfalls arbeitete.
Am Ostersonntag im Jahr 2007, wenige Tage vor dem Mord, feierte die kleine Gemeinde in Malatya einen Ostergottesdienst, der Susanne Geske noch gut in Erinnerung ist. In dem „außergewöhnlichen Gottesdienst“ sei die Auferstehungsbotschaft zu den Menschen im Saal hindurchgedrungen, schreibt sie. Doch niemand ahnte, „dass schon wenige Tage später das Leben aller Anwesenden erschüttert wird“. An einem Abend kurz nach Ostern sprachen Tilmann und Susanne Geske über Verfolgung in der heutigen Zeit: „Wir konnten uns nur schwer vorstellen, dass Menschen heute abgeschlachtet oder verbrannt werden wie zu Neros Zeiten. Wir wussten natürlich, dass so etwas tragischerweise doch in vielen Teilen der Welt geschieht, aber wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass uns so etwas passieren könnte.“
In den Tagen nach dem Mord boten die Nachbarn der Familie jede erdenkliche Hilfe an, auch diejenigen, die vorher jahrelang abweisend gewesen waren. Pressevertreter aus aller Welt umlagerten die Familie – und wollten vor allem eines: eine exklusive Geschichte. Einen Tag nach dem Drama kursierten die wildesten Gerüchte über den Mord. „Leider kommt es vielen weniger auf Genauigkeit an als auf die Geschwindigkeit, mit der sie solche ‚Neuigkeiten‘ weiterverbreiten können“, meint Susanne Geske.
Die islamistische Propaganda habe dazu beigetragen, die Tat möglichst schnell bekannt zu machen. „Radikale, gewaltbereite Muslime haben das Verbrechen bejubelt und alles darangesetzt, es als gerechtfertigt und heroisch darzustellen. Je grausamer die Bluttat erschien, umso mehr Applaus erhofften sie sich“, so Susanne Geske. Die fünf jungen Attentäter sind mittlerweile allesamt in polizeilichem Gewahrsam. Der türkischen Presse zufolge haben sie in den ersten Verhören alle ausgesagt, die Morde aus „nationalistischen und religiösen Gefühlen“ verübt zu haben. Jeder von ihnen hatte bei der Tat einen Zettel mit der Zeile „Wir haben es für unser Land getan“ in der Tasche. Ende April wird der Prozess gegen die Täter fortgesführt.
„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“
Vor der Weltpresse hatte Susanne Geske damals eine bewegende Ansprache gehalten, in der sie ihre Sicht der Tat darlegte. Die Worte finden sich auch im Buch. „Wir sind in dieses Land gekommen, um ein normales Leben zu führen, genauso wie Türken als Muslime nach Deutschland gehen“, sagte Susanne Geske damals.“Ich habe meinen Freund fürs Leben verloren und die Kinder ihren Vater. Aber ich weiß, dass Tilmann als Märtyrer im Namen Jesu Christi gestorben ist. Sein Blut ist nicht umsonst geflossen. Dies ist ein Neuanfang für Malatya und für die Türkei. Jesus hat am Kreuz für die Menschen um ihn gebetet: ‚Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.‘ Und ich möchte dasselbe tun.“
Jonathan Carswell / Joanna Wright „Susanne Geske: Ich will keine Rache – Das Drama von Malatya“, Brunnen-Verlag, 192 Seiten, 12,95 Euro