Der Asylbewerber hatte auf seine Ehefrau eingestochen, sie aus dem Fenster geworfen und ihr die Kehle durchgeschnitten, berichtet die Welt. Der Grund: sie soll ihn betrogen haben. Das Landgericht Cottbus verurteilte den 32-Jährigen zu 13 Jahren Haft wegen Totschlags. In der Begründung heißt es, Eifersucht sei zwar nach hiesigen Wertvorstellungen ein „niedriger Beweggrund“ für einen Mord, nicht aber nach den Vorstellungen des Tschetschenen.
Die Welt hat die Rechtsanwältin Brigitta Biehl befragt, die zweite Vorsitzende des Vereins Peri ist, der Menschen betreut, die von Zwangsheirat und „Ehrenmord“ bedroht sind. Sie sei „etwas fassungslos“ angesichts des Urteils, sagt sie. Das Gericht habe offenbar unhinterfragt die Behauptung des Täters übernommen, er als Mann habe das Recht, seine Frau zu töten, sollte sie fremdgegangen sein. Das sei in Tschetschenien geltendes Recht, und der Koran erlaube es auch.
Auf die Frage, ob der Täter also einen „kulturellen Rabatt“ erhalten habe, antwortet Biehl: „Die Strafbarkeit setzt sich immer zusammen aus dem objektiven Tatbestand und der persönlichen Schuld.“ Die Rechtsexpertin verweist auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 2006, wonach die Frage anhand der hiesigen Wertvorstellungen beantwortet werden müssten. Allerdings müsse der Täter in der Lage gewesen zu sein, die hiesige Wertvorstellung zu kennen. Biehl: „Genau das macht diesen Fall so schwierig: Der Täter war erst seit sechs Monaten in Deutschland, hatte ein niedriges Bildungsniveau, keine sozialen Kontakte. Umso wichtiger wäre es gewesen, seinen kulturellen Hintergrund zu untersuchen.“
Biehl ist der Meinung, dass ein Gericht sich immer schwer damit tun werde, einen Täter, der erst vor kurzem aus seinem Land nach Deutschland gekommen ist, wegen Mordes aus „niedrigen Beweggründen“ zu verurteilen, wenn in seinem Land Ehrenmorde Praxis sind. In der kurzen Zeit habe er noch keine Möglichkeit, sich mit den hiesigen Rechtsvorstellungen zu beschäftigen.
„Richter mit Mangel an frischer Luft“
Der Publizist und Autor Henryk M. Broder kommentiert in der Welt: „Zu welchem Zeitpunkt der komplexen Tat sollte er überlegt haben, ob er möglicherweise aus ,niederen Beweggründen‘ handelte? Vor dem ersten Stich oder erst nach dem Fenstersturz? Und mal angenommen, er habe sich die Frage gestellt und sie mit einem Nein! beantwortet, würde das die ,niederen Beweggründe‘ aufheben?“
Broder zitiert ältere Fälle, in denen Menschen brutal getötet wurden und fragt, ob die Richter naiv seien, die einen Mordversuch zu einer gefährlichen Körperverletzung herabstufen. „Kann es etwas Heimtückischeres geben als den Versuch, einen schlafenden Menschen anzuzünden? Heimtücke gilt, ebenso wie niedere Beweggründe, als ein Mordmerkmal.“
Doch auch bei Alltagsdelikten wie wenn ein Ladendieb in einem Supermarkt Lebensmittel klaut, weil er hungrig ist, lägen „mit Sicherheit kein ’niederer‘, sondern ein elementarer Beweggrund vor“, schreibt Broder. Und wenn er gar klaut, um hungernde Obdachlose zu versorgen, „dann sind seine Beweggründe ausgesprochen edel“. Er schreibt weiter: „Es kann sein, dass die Richter ihre Entscheidungen in einem Zustand der Weltfremdheit und Abgewandtheit gefällt haben, herbeigeführt durch den Mangel an frischer Luft und Sonnenlicht in den meist fensterlosen und vollklimatisierten Gerichtssälen. Es müssen ja nicht gleich niedere Beweggründe oder Heimtücke sein.“
„Es geht nicht primär um die Religion“
Der Vorsitzende des Vereins Christ und Jurist, David Kästle-Lamparter, erklärte gegenüber pro, die Bezeichnung „kultureller Rabatt“ sei polemisch und aus seiner Sicht nicht hilfreich. „Es geht nicht um einen Strafrabatt, sondern zunächst einmal um die Frage, ob eine Tötungshandlung aus juristischer Sicht ein Totschlag oder ein Mord aus niedrigen Beweggründen ist.“ Solche niedrigen Beweggründe könnten auch bei persönlicher Rache, Blutrache, Tötungen aus Gründen der Familienehre (also sogenannte Ehrenmorde) und Selbstjustiz vorliegen. Ob der Täter aufgrund niedriger Beweggründe gehandelt hat, müssten die Gerichte im Einzelfall entscheiden. Dies geschehe auf Grund „einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt“. Kästle-Lamparter erklärte weiter, es gehe bei der Entscheidung nicht primär um die Religion, sondern um die Wertvorstellungen in Deutschland – also dass Blutrache und „Ehrenmorde“ von der Rechtsgemeinschaft missbilligt werden – gegenüber abweichenden kulturellen Vorstellungen. Ein deutscher fundamentalistischer Christ hätte wohl „Pech gehabt“, geriete er in eine vergleichbare Situation, „weil er die Wertvorstellungen in Deutschland jedenfalls kennt und sich dann bewusst darüber hinwegsetzen würde“, sagte der Jurist. (pro)
Von: js