Der Spiegel bediene „gewollt oder ungewollt antisemitische Klischees wie das von der allmächtigen jüdischen Weltverschwörung“. Das sagte Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antisemitismus, der Bild-Zeitung. Ein Beitrag der aktuellen Spiegel-Ausgabe über zwei pro-israelische Lobbyvereine sei in seinen Augen „hoch problematisch“. Darin heißt es, die „WerteInitiative“, die jüdisch-deutsche Positionen vertrete, und das „Nahost Friedensforum“ (Naffo) hätten Abgeordnete des Bundestags mit fragwürdigen Methoden systematisch beeinflusst, damit sie für die Resolution gegen die Israel-Boykottbewegung BDS stimmen. Im Gegenzug seien Spenden an die Parteien geflossen.
Der Bundestag hatte im Mai eine Resolution angenommen, die sich gegen BDS richtet. Das steht für „Boycott, Divestment and Sanctions“ und beinhaltet unter anderem einen Boykott gegen israelische Waren, um Israel zu isolieren und dadurch zu zwingen, seine Politik gegenüber den Palästinensern zu ändern.
Außerdem legt der Spiegel nahe, dass diese Lobbygruppen „Frontorganisationen“ des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten und des Auslandsgeheimdienstes Mossad seien. Mit Hilfe solcher Organisationen habe Israel Druck auf Banken in Europa und den USA ausgeübt, Konten von Gruppen zu schließen, die die Boykottbewegung unterstützten.
„Billigstes antisemitisches Klischee“
Auch Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, kritisierte den Spiegel-Bericht: Der Text strotze vor Beschuldigungen, „die sich um angebliche jüdische Einflussnahmen in Zusammenhang mit Geldzahlungen drehen“, aber liefere keine Beweise dafür. „Der Artikel bedient ganz klar antisemitische Klischees und schürt damit Antisemitismus.“ Das sei verantwortungslos und gefährlich, sagte er zu Bild.
Auf Welt.de weist der Historiker Michael Wolffsohn dem Spiegel-Artikel ebenfalls „antisemitische Züge“ nach. Er stellt klar: „Die Empörung ist unangebracht. Jenseits der Parteien gehören Lobbygruppen zum selbstverständlichen Alltag einer parlamentarischen Demokratie.“ Ebenso seien Parteispenden legal, legitim und öffentlich nachprüfbar. Die Israel-Lobby sei winzig und „alles andere als superreich“. „Die Gedankenverbindung Juden – Geld gehört zu den billigsten antisemitischen Klischees. Ergänzt um den Faktor Macht ist man schnell beim Märchen der ‚jüdischen Weltmacht‘“.
Die Journalistin Esther Schapira teilte ihr Entsetzen auf Twitter mit. Sie kritisierte den Beitrag als Verdachtsberichterstattung und fragte die Spiegel-Journalisten, wie sie das „in Zeiten zunehmenden Antisemitismus“ ethisch verantworten könnten. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck empfahl dem Spiegel in Folge des umstrittenen Beitrags die Lektüre von Israelnetz, das von der Christlichen Medieninitiative pro herausgegeben wird: Die Nachrichtenseite berichtete über einen anderen pro-israelischen Antrag, der jedoch im Bundestag durchfiel. Das erwähnte der Spiegel nicht.
Der Chemnitzer FDP-Abgeordnete und Mit-Initiator der Resolution Frank Müller-Rosentritt twitterte, er und viele seiner Kollegen setzten sich aus Überzeugung gegen Antisemitismus ein, und wies den Spiegel-Vorwurf der Korruption zurück.
Spiegel weist Kritik zurück
Die Chefredaktion des Spiegels reagierte auf die Vorwürfe und konkrete Kritikpunkte und nannte weitere Quellen. Es gehe in dem Beitrag nicht um die Religionszugehörigkeit der handelnden Personen, Thema des Artikels sei Lobbyismus und seine Methoden. „Die Unterstellung, eine solche Berichterstattung würde Hetze oder Gewalttaten gegen Juden in Deutschland unterstützen, weisen wir entschieden zurück.“ Der Artikel zeichne weder „das Bild einer ‚jüdischen Lobby‘ noch einer ‚jüdischen Weltverschwörung‘“.
Von: Jonathan Steinert