Einen Tag nachdem die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Stellungnahme zur laufenden Debatte um die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen abgegeben hat, wird erste Kritik laut.
Scharfe Worte findet der Bundesverband Lebensrecht (BVL) und nennt die EKD-Stellungnahme „ernüchternd“. Wenn Abtreibungen, so wie die Protestanten vorschlagen, nur noch in der fortgeschrittenen Schwangerschaft strafbewährt wären, stelle sich die Frage „mit welchen anderen Mitteln dem Lebensrecht und der Menschenwürde dieser Menschen Geltung verschafft werden kann“.
Für gar „gefährlich“ hält Linder die Position der EKD, dem vorgeburtlichen Kind eine „kontinuierliche Zunahme des Lebensrechts und der Schutzpflicht“ zuzubilligen. „Erstens muss eine Schutzpflicht am größten sein, wenn der Mensch am meisten gefährdet ist, und das wäre hier nicht die Zeit kurz vor der Geburt, sondern die Zeit kurz nach der Empfängnis. Und zweitens impliziert dieser Ansatz, dass es analog dazu eine kontinuierliche Abnahme des Lebensrechts in Bezug auf andere Menschengruppen geben könnte, zum Beispiel suizidale, sterbende, todkranke, komatöse Menschen“, sagt Linder.
„Ernüchternde Stellungnahme der EKD“
Deshalb müsse das Lebensrecht und die Menschenwürde jedes Menschen gleichermaßen geschützt werden, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder gesundheitlichem Zustand. „Eine anderslautende Stellungnahme ausgerechnet von einem Gremium, das eine christliche Konfession vertritt, ist ernüchternd.“ Ausdrückliche Zustimmung äußerte der BVL zum Vorschlag der Kirche, die Pflichtberatung vor einer Abtreibung beizubehalten.
Laut der Stellungnahme der EKD von Mittwoch hält es der Kirchen-Rat für denkbar, Abbrüche in der frühen Schwangerschaft außerhalb des Strafrechts zu regeln, zum Beispiel bis zur 22. Schwangerschaftswoche. Die Protestanten stellen aber auch klar: „Eine vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs hält die EKD vor dem Hintergrund der Verpflichtungen des Staates für den Schutz des Lebens für nicht vertretbar.“ Sie sprechen sich zudem für Pflichtberatungen aus.
Allianz-Beauftragter: „Verstehe Sorge vieler Christen“
Der politische Beauftragte der Evangelischen Allianz in Deutschland, Frank Heinrich, zeigt auf Anfrage von PRO Verständnis dafür, dass Christen angesichts der EKD-Stellungnahme und der Arbeit einer politischen Kommission zum Thema nun Sorge hätten, dass der Schutz des ungeborenen Lebens weiter erodiere und scheibchenweise ausgehöhlt werde.
Eine Pflichtberatung, wie auch die EKD sie fordere, müsste künftig „im Sinne einer lebensbejahenden Beratung“ durchgeführt werden, und nicht ein bloßer „Programmpunkt zum Abhaken“ sein.
Heinrich kritisierte massive Wissenslücken beim Thema Abtreibung in der Öffentlichkeit, gerade was die rechtliche Situation angehe: „Die meisten Menschen gehen davon aus, dass Schwangerschaftsabbrüche völlig legal sind und wissen gar nicht, dass wir im Strafrecht ein Abtreibungsverbot stehen haben – und warum es da steht.“ Bevor über eine Neuregelung diskutiert werde, sei es zunächst geboten, neu ins Gedächtnis zu rufen, wie viel Arbeit es war, diesen politischen Kompromiss – zwischen Verbot und Ausnahmen vom Verbot – zu schließen.
Dennoch begrüßte er, dass die Kirchen nun im Prozess um eine eventuelle Neuregelung der Abtreibungsgesetzgebung gehört würden. „In der politischen Kommission kommen sie nicht vor, das wurde zu Recht kritisiert“, sagte er. „Nun ist die Evangelische Kirche offenbar neben anderen gebeten worden, Stellung zu beziehen, und das ist erfreulich, gerade zu einem so frühen Zeitpunkt in der Debatte.“