Kopftuchverbot verstößt gegen Verfassung

Ein pauschales Verbot des Kopftuchs für Lehrerinnen verstößt gegen die Religionsfreiheit. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Freitag erklärt. Politik und Muslime begrüßen das Urteil.
Von PRO
In einigen Bundesländern existieren Kopftuchverbote für Lehrerinnen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese nun für nicht verfassungskonform erklärt
Die Bekundung des eigenen Glaubens durch das äußere Erscheinungsbild muss für Lehrkräfte möglich sein, teilte das Bundesverfassungsgericht mit. Noch 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht die Verantwortung für die Gesetzgebung zum Tragen des Kopftuchs an die Länder überwiesen. Verbote gibt es derzeit in Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und im Saarland. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass der Eingriff in die Glaubensfreiheit von Musliminnen schwer wiege, weil das Kopftuch Teil ihres religiösen Selbstverständnisses sei. Dass durch ein Verbot vor allem muslimische Frauen in ihrer religiösen Selbstbestimmung eingeschränkt würden, habe außerdem eine nicht zulässige Ungleichbehandlung etwa mit Christen zur Folge. Zeichen der Religionszugehörigkeit wie Kippa, Kopftuch, Kreuzkette oder die Ordenstracht einer Nonne müssten deshalb unabhängig vom jeweiligen Glauben erlaubt sein. „Solange die Lehrkräfte nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, werden diese lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird“, stellt das Gericht fest.

Kopftuch ist kein Missionierungsinstrument

Verbote seien erst dann zu rechtfertigen, wenn eine ganz konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist. Anders als beim staatlich verantworteten Aufhängen eines Kreuzes im Klassenzimmer sei mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden: „Vom Tragen eines islamischen Kopftuchs geht für sich genommen noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus.“ Geklagt hatten zwei Musliminnen aus Nordrhein-Westfalen. Eine Sozialpädagogin in einer öffentlichen Gesamtschule hatte zwar ihr Kopftuch abgelegt, dafür aber eine Baskenmütze getragen, um sich zu bedecken. Daraufhin erhielt sie ein Abmahnung. Eine weitere Frau, die als Türkischlehrerin tätig war, weigerte sich, ihr Kopftuch abzulegen und wurde deshalb gekündigt. Beide Pädagoginnen klagten dagegen zunächst vor Arbeitsgerichten und verloren. Laut dem Bundesverfassungsgericht muss Nordrhein-Westfalen nun sein Schulgesetz ändern. Auch auf die anderen Länder dürfte dies zukommen.

Linke: Zeichen in Richtung Pegida

Der Zentralrat der Muslime lobte die Entscheidung als „richtigen Schritt, weil es die Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen in Deutschland würdigt“. Es lasse sie als „gleichberechtigte Staatsbürger am gesellschaftlichen Leben partizipieren“. Lob kam auch aus der Politik: Der Grünen-Politiker Volker Beck sprach von einem guten Tag für die Religionsfreiheit. „Die Gegner unserer offenen Gesellschaft sind nicht die Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Glauben sichtbar bekunden, sondern diejenigen, die Vielfalt bekämpfen“, teilte er mit. Christine Buchholz von der Linken hält das Urteil für ein wichtiges Zeichen in Richtung Pegida. „Auch wenn die Entscheidung das Kopftuchverbot nicht grundsätzlich aufhebt, ist es ein wichtiges und richtiges Signal, dass Glaubens- und Bekenntnisfreiheit auch in einem säkularen Staat gelten. Und zwar für alle.“ Auch die Alternative für Deutschland sieht das Urteil positiv: „Die Rücknahme des pauschalen Kopftuchverbotes durch das Bundesverfassungsgericht ist klug. Sie ist es jedoch nur vor dem Hintergrund, dass in deutschen Schulen auch das Kruzifix unangefochten und gängige Praxis ist“, teilte der Sprecher der AfD, Alexander Gauland, mit. Kerstin Griese von der SPD sieht das Urteil als Zeichen für die staatliche Stärkung religiöser Vielfalt: „Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, betonte Griese, und weiter: „Das Urteil macht deutlich, dass Religionsfreiheit im 21. Jahrhundert immer auch die Religionsfreiheit der Anderen ist. Die Union hingegen gab sich vorsichtig: „Das Urteil darf nicht als Ermunterung dahingehend verstanden werden, dass kulturelle Gepflogenheiten generell als Ausübung der Religion verstanden werden. Dazu gehört beispielsweise auch die Verweigerung von Schülerinnen an der Teilnahme am Schwimm- oder Sportunterricht und an Klassenfahrten“, warnte der religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Franz Josef Jung. (pro)
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/kirchliche-einrichtungen-duerfen-kopftuch-verbieten-89535/
https://www.pro-medienmagazin.de/gesellschaft/detailansicht/aktuell/lehrerin-verweigert-muslimische-kleiderordnung-79632/
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