Am Dienstag hat die Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Vollversammlung in Fulda die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Studie hat offenbart: Die Struktur der Katholischen Kirche begünstigt sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Bei der Pressekonferenz zeigte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, zerknirscht. Das ist verständlich und ehrt ihn. Er „schäme“ sich, erklärte Marx angesichts 3.677 dokumentierter Fälle und bat die Opfer der Misshandlungen um Entschuldigung. Die Betroffenen hätten Anspruch auf Gerechtigkeit. Aber wie soll die aussehen?
Die Studie selber verfolgte nach eigenen Angaben „keinen juristischen oder kriminalistischen, sondern einen retrospektiv-deskriptiven und epidemiologischen Ansatz“. Die Archive und Dateien der Diözesen wurden dazu nach Angaben der Forscher nach Vorgabe „von Personal aus den Diözesen oder von diesen beauftragten Rechtsanwaltskanzleien durchgesehen“, die Erfassungsbögen über „identifizierte Fälle sexuellen Missbrauchs“ anonymisiert an die Forscher übersandt. Wem kommt in dem Zusammenhang nicht das Bild vom Bock und dem Gärtner in den Sinn? Von konkreten Fällen spricht die Studie nicht, nennt keine Opfernamen und verweist dabei auf den Datenschutz. Somit gibt sie im Kern keinen Anlass zur strafrechtlichen Verfolgung durch die Justiz, die einem konkreten Verdacht nachgehen muss. So bleibt die einzelne Tat, entsetzlich genug, in der anonymen Masse der Vergehen verborgen. Die rechtsverbindliche Ermittlung der Verjährungsfrist beim Straftatbestand des sexuellem Missbrauchs muss von Fall zu Fall geprüft werden. Die Entscheidung fällt die jeweilige Staatsanwaltschaft oder das zuständige Strafgericht. Und weil das Strafrecht in den vergangenen Jahren mehrfach angepasst und in Stufen immer weiter verschärft wurde, müsste jeweils ermittelt werden, welche Verjährungsfrist zu welchem Zeitpunkt jeweils galt. Die Bischöfe müssen sich fragen lassen, warum die Akten der Verdachtsfälle nicht längst bei den Staatsanwaltschaften auf den Tischen liegen.
Elitäre Subkultur
Wenn die Forscher in ihrer Studie von „klerikalen Strukturen“ sprechen, dann ist das auch ein Euphemismus für mit sich selbst beschäftigte Männer-Eliten, verborgene Netzwerke, devote Gesten, untertänige Verhaltensregeln, Androhungen von Fegefeuer, vermeintliche Macht über Menschenseelen, Furcht vor dunklen Roben. Denn all das gibt es in der Katholischen Kirche bis heute, auch wenn sich seit den Zeiten Martin Luthers einiges geändert hat.
Als mögliche Begünstigungsfaktoren für den sexuellen Missbrauch haben die Forscher auch den Zölibat und die Haltung der Kirche zur Sexualität und zur Homosexualität identifiziert. Dass Subkulturen, seien es Jungeninternate oder Gefängnisse, durch Enge und Beschränkung hinsichtlich der Sexualität zu psychisch-sexueller Dauerspannung und autoritären Strukturen und Verhalten führen, weiß die Welt nicht erst durch Literatur von Robert Musil oder C.S. Lewis. Das alles wussten auch die Verantwortlichen in der Katholischen Kirche. Dennoch wurden Priester mit latenten Neigungen zusammengeführt mit potenziellen Opfern, indem Versetzungen bei Übergrifflichkeiten oder Missbrauch ausgesprochen wurden. Wem wurde damit geholfen? Den Opfern? Den Priestern? Den Gemeinden? Es wurde vertuscht und gelogen, wo freigestellt und therapiert hätte werden müssen. Die Rechtswissenschaft kennt bei Schadenersatzansprüchen den Begriff des Organisationsverschuldens. Ja, die Katholische Kirche hat als Organisation Schuld auf sich geladen. Ja, sie muss dafür gerade stehen. Aber nein, die Kirche ist per se keine kriminelle Organisation, auch wenn der Gedanke hier und dort aufkommen dürfte. Die Absichten der Katholischen Kirche und ihrer allermeisten Vertreter sind ehrbar, auch wenn sich rabenschwarze Schafe unter die Herde gemischt haben. Aber wer ist verantwortlich? Die Hirten zumindest gestehen keine Fehler ein. Denn von den Bischöfen hat bislang keiner den Bischofsstab tief bestürzt vor den Altar geworfen und angesichts der finsteren Machenschaften seine Soutane zerrissen.
Von: Norbert Schäfer