Kein Christentum ohne Gemeinschaft

Der Glaube braucht Gemeinschaft mit anderen Menschen. Seit jeher treffen sich Christen – anfangs gegenseitig in den Wohnungen, später in Kirchen und Gemeinderäumen. Und jetzt wieder in den Wohnungen, allerdings einzeln und vorm Bildschirm. Hätten Christen stärker gegen diese Einschränkung protestieren müssen? Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Wenn das größte Besäufnis unseres Landes auf der Münchner „Wiesn“ bereits fünf Monate vorher abgesagt wird, dann muss es schlimm um unser Land stehen. Noch vor einer Woche habe ich hier an dieser Stelle angedeutet, dass es erst dann wirklich ernst wäre, wenn Markus Söder das Oktoberfest verbieten würde. Eine Woche später ist es soweit. Söder bläst ab. Wenngleich manche Verordnung aus meiner Wahrnehmung keinen Sinn ergibt, warum etwa Möbelläden bisher geschlossen blieben, während Baumärkte blühende Geschäfte machen. Für die ist Corona so gut wie ein zu befürchtendes weiteres Dürrejahr für den Borkenkäfer.

Warum sind zum Beispiel Wertstoffhöfe geschlossen? Gerade jetzt, wo uns Corona viel Zeit zum Aufräumen und Renovieren und Entsorgen beschert, stehen Höfe und Carports voll mit Müll und Wiederverwertbarem. Nein, Restmüll wird zusätzlich zur schwarzen Tonne nur mit schwarzen Säcken der Stadtwerke abgeholt. Und wo bekomme ich die? Bei den Stadtwerken, aber die sind für den Publikumsverkehr geschlossen! Ist das nicht verrückt? Aber was für eine Lapalie ist das gegenüber drohender Inflation?

Der Obrigkeit zu sehr ergeben?

Die eigentliche Gefahr aber liegt tiefer. In Notzeiten werden Menschenrechte weich geklopft. Ausgerechnet Heribert Prantl, ehemals Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, fragte vor ein paar Tagen im ZDF-Morgenmagazin, warum wir uns die grundrechtlich abgesicherte Religions- und Versammlungsfreiheit haben einschränken lassen. Es sei „ungeheuerlich“, dass ein Bürgermeister, Landrat, Regierungspräsidien, Ministerpräsidenten Gottesdienstbesuche verbieten könnten.

„Grundrechte müssen auch in außergewöhnlichen Krisenzeiten gelten“, und „Angst ist die Autobahn für Gesundheitsgesetze“, sagte Prantl, der sich wundert, warum aus den Reihen der Kirche kaum Proteste vernehmbar seien. Sind wir theologisch konservativ geprägten Christen, für die Versammlungen, wie Gottesdienste, Hauskreise, Bibelstunden, Seminare und vor allen Dingen große öffentlich Events wie ProChrist und Jesus House von großer Bedeutung sind, zu obrigkeitsergeben? Warum bleiben wir zu Hause in Deckung?

Um es klar zu sagen: Ich sehe, dass die Bundes- und Landesregierungen sehr wohl verantwortlich denken und handeln und dass wir gute Gründe haben, die Kontakteinschränkung zu akzeptieren, aber bleiben wir wachsam!

Mikro stummschalten, aber auch lauthals protestieren

Sehen wir es positiv: Durch das Versammlungsverbot konnten wir in den letzten Wochen neue Talente entdecken, Menschen, die durch berufliche Expertise in der großen Welt der Video-Konferenzen zu Hause sind und nun ihren Sachverstand und ihre Erfahrung in die Gemeinden vor Ort bringen und im Dienst der christlichen Gemeinde durch Online-Veranstaltungen ganze neue Wege zu den Menschen gehen. Ich staune, was das „online churching“ alles möglich macht. Leider haben viele einsame und besonders ältere Menschen keinen Internetzugang und bleiben allein. Selbst ich, der ich in meiner aktiven Zeit immer auf dem neusten Stand der Ton- und Bildtechnik war, musste erst lernen damit umzugehen. Neulich in einer Video-Teamsitzung war ich die Ursache von einem Ausbruch an Heiterkeit: Ich war davon ausgegangen, dass mein Mikro stumm geschaltet war. Darum habe ich mal eben meiner Frau zugerufen, ob es heute den Rest Linsensuppe oder Spaghetti geben würde. Zum Glück rief einer Teilnehmer der Videokonferenz: „Jürgen, stell dein Mikro stumm!“ Fröhliches Gelächter an den Geräten zu Hause. Man stelle sich vor, was da alles hätte passieren können.

Also, wen man nichts zu sagen hat, dann soll man das Mikro auf „stumm“ schalten. Das würde schon ganz viel helfen. Und gleichzeitig lauthals protestieren, wo unsere Grundrechte verbogen werden. Von Nikolaus Graf von Zinzendorf stammt das Bekenntnis: „Ich statuiere kein Christentum ohne Gemeinschaft!“ Und Gemeinschaft lebt von persönlichen Begegnungen.

Übrigens, meine Liebste hat mir dann doch ein Linsengericht zubereitet …

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