Ein Grundrecht auf Jeans-Shoppen gibt es nicht

Bund und Länder wollen Geschäfte bis 800 Quadratmeter wieder für Kunden öffnen. Kirchen sollen außen vor bleiben, Gottesdienste soll es vorerst nicht geben. Das passt nicht zusammen. Ein Kommentar von Nicolai Franz
Von Nicolai Franz
Läden bis 800 Quadrameter können wieder öffnen, außerdem KFZ-Händler, Fahrradgeschäfte und Buchhandlungen – unabhängig von der Größe

Das Bundesverfassungsgericht hat vergangene Woche bestätigt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Das Verbot von Gottesdiensten sei durch die Anti-Corona-Maßnahmen zwar gerechtfertigt, aber ein „überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubensfreiheit“, wie die Karlsruher Richter gleich mehrfach betonen. Religionsfreiheit ist ein Grundrecht, dazu gehören selbstverständlich auch öffentliche Gottesdienste.

Es ist daher schlicht unlogisch und unverhältnismäßig, wenn nun Bekleidungsgeschäfte, Elektronikläden und Souvenirshops öffnen dürfen, aber selbst im Kölner Dom nicht mal ein Gottesdienstchen mit 20 Personen gefeiert werden darf. Ja, die Corona-Bedrohung ist weiterhin real, der Staat muss fortwährend entschlossen handeln. Zu Ostern galten überall noch strenge Auflagen. Daher wäre es damals unverantwortlich gewesen, wenn Christen sich allen Ratschlägen zum Trotz zum Gottesdienst versammelt hätten. Mit den geplanten Lockerungen gelten aber neue Verhältnisse und Spielregeln. Die Menschen sind anders als noch vor Wochen sensibilisiert für den Ernst der Lage.

Staat will Risikogruppen schützen

Bund und Länder haben erklärt, dass es noch nicht möglich sei, „zum gewohnten Leben der Zeit vor der Epidemie“ zurückzukehren. „Sondern wir müssen lernen, wie wir für eine längere Zeit mit der Epidemie leben können.“ Die Deutschen müssen sich also darauf einstellen, dass es noch lange dauern wird, bis alle Beschränkungen entfallen. Gut, dass der Staat die Maßnahmen vorsichtig lockert, ohne eine Beschleunigung der Pandemie zu riskieren.

Doch auch das Gottesdienstverbot darf kein Dauerzustand sein. Deshalb muss es medizinisch verantwortbare Lösungen geben, um das Grundrecht auf freie Religionsausübung – wozu auch öffentliche Gottesdienste gehören – unter strengen Auflagen zu erlauben. Danach sieht es nicht aus. In ihrem Beschluss vom Mittwoch mahnen Bund und Länder: „Nach allem, was wir jedoch über die Rolle von Zusammenkünften bei der Verbreitung des Virus sowie über die Ansteckungsgefahr und die schweren Verläufe bei vulnerablen Gruppen wissen, ist es weiter dringend geboten, sich auf die Vermittlung von religiösen Inhalten auf medialem Weg zu beschränken.“

Doch niemand will ein zweistündiges Kirchenkaffee oder ausgedehnte Lobpreisabende mit dicht gedrängten Besuchern feiern. Wenn der Staat es für verantwortbar hält, auch größere Geschäfte ganztags für die Kundschaft zu öffnen, muss es möglich sein, in großen Kirchensälen einen kurzen Gottesdienst mit gehörigem Abstand, strengen Hygieneregeln und beschränkter Besucherzahl zu erlauben. Natürlich müssen Risikogruppen wie alte und vorerkrankte Menschen geschützt werden. Doch auch dafür könnte es praktikable Lösungen geben.

Die Kirchen sind not amused

Am Freitag werden sich die großen Religionsgemeinschaften mit dem Innenministerium und Vertretern der Länder über mögliche Regelungen austauschen. Heinrich Bedford-Strohm, oberster Repräsentant der Evangelischen Kirche in Deutschland, wünscht sich „einvernehmliche Klärungen“, die „verantwortbare Formen des Gottesdienstes“ ermöglichen.

Sein katholischer Kollege Georg Bätzing von der Deutschen Bischofskonferenz zeigt sich deutlich kritischer und spricht von einer „Enttäuschung“ darüber, dass Gottesdienste zunächst verboten bleiben sollen. Gerade über die Kar- und Osterfeiertage sei das für viele Gläubige „nur schwer zu ertragen“ gewesen. Katholiken, für die die reale Feier der Eucharistie von hoher theologischer Bedeutung ist, leiden wohl tatsächlich mehr unter fehlenden Gottesdiensten als Protestanten. Bätzing betont ausdrücklich, das Gottesdienstverbot „bisher“ hingenommen zu haben. Seine Reaktion auf die Beschlüsse von Bund und Ländern kann man daher durchaus als Warnzeichen verstehen: Bisher haben wir uns an alle Vorgaben gehalten, aber unsere Geduld ist auch endlich.

Die politischen Verantwortungsträger sollten sich für die morgigen Verhandlungen bewusst machen: Ein Grundrecht auf Jeans-Shoppen gibt es nicht, auf öffentliche Religionsausübung schon.

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