Der zivile Gehorsam kommt an seine Grenzen

Die Mehrheit der Deutschen findet die angeordneten Einschränkungen zum Schutz gegen Corona angebracht und nimmt sie relativ gelassen in Kauf. Auch pro-Kolumnist Jürgen Mette. Zumindest bisher. Denn dass Gottesdienste weiterhin verboten sein sollen, kann er nicht verstehen.
Von PRO
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte. Für pro schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Ich staune jeden Tag mehr über die charakterlichen Qualitäten der Deutschen im Härtetest der Coronakrise: verbindlich, vernünftig, gelassen, folgsam, der Obrigkeit ergeben, penibel auf die staatlich verordnete Distanz achtend. Und wenn morgen ein schwarzer Schutzanzug und eine weiße Gasmaske für alle Kirchgänger gefordert würden, wir wären treu dabei. Die Experten da oben in Berlin, die Herrscher aller Zahlen und Statistiken, die wissen schon, was gut für uns ist. Die Kanzlerin und ihr Vize liegen vorn in allen Umfragen; und Markus Söder, der sich mit Armin Laschet um den Posten des primus inter pares unter den Ministerpräsidenten kabbelt, und den sein erfolgreiches Pandemie-Krisenmanagement zum Primus aller „Primeln“ gemacht hat. Wer wählt jetzt noch grün? Markus Söder ist bekennender Christ, ein fränkischer Bayer, der Musterschüler der christlich-sozialen-und-demokratischen Schwarzen. Grünen-Chef Robert Habeck wirkt dagegen ziemlich blass und huldigt artig der Kanzlerin für ihre gute Arbeit.

Wer hätte Mitte Februar noch daran gedacht, dass der zivile Gehorsam der Deutschen jemals die Fundamente des Grundgesetzes derart erschüttern würde, wie wir das jetzt miterleben? Die Kirchen fügen sich brav der Verordnung und probieren sich im Streaming und im „online churching“, statt denen ganz oben einmal zu erklären, dass die Gottesdienste bei durchschnittlich zehn Prozent der Kapazität des verfügbaren Gestühls keine Probleme mit der Zwei-Meter-Abstandsregel haben werden. Wenn 300 Sitzplätze von 30 Personen besetzt wären, dann sollte das funktionieren. Warum sollte das nicht genehmigungsfähig sein?

Kleine Schritte fordern uns heraus

Und wenn ein Herrenausstatter auf 800 Quadratmetern sein feines Tuch ausbreitet, ist die Gefahr, sich zu nahe zu kommen, viel geringer, als würde ein enger Kleinkrämerladen auf 80 Quadratmetern von zehn Kunden gleichzeitig belagert werden. Das verstehe, wer will. Und was eine Großveranstaltung ist, sollen die Länder klären. Der absolute Glaubwürdigkeitstest steht dann zum Oktoberfest an.

Eins aber ist wichtig: Der schrittweise geplante Wiedereinstieg ins normale Leben wird uns alle mehr herausfordern als die konsequente soziale Enthaltsamkeit der vergangenen sechs Wochen. Schrittweise heißt: in kleinen Portionen, vernünftig und maßvoll das „ethische Dilemma“ (Laschet) als Kunst der Abwägung gesundheitlicher und wirtschaftlicher Risiken zu vermitteln und zu kontrollieren.

Bleiben Sie gesund und achten Sie aufeinander!

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