Mittwochabend, 18.15 Uhr, ein kleiner Abendspaziergang durch die Stadt. Eine ruhige Straße mit fünfgeschossigen Altbauten auf beiden Seiten, ein Grünstreifen mit knospenden Ahornbäumen in der Mitte, die Sonne schickt wärmende Strahlen über den Bürgersteig. Plötzlich erklingt aus allen Richtungen Musik: An den Fenstern und auf Balkonen stehen Menschen, teilweise mit Liedblättern in der Hand, und singen gemeinsam. „Bridge over troubled water“, Brücke über aufgewühltes Wasser, die Rockballade von Simon & Garfunkel. Wer gerade – natürlich im gebotenen Sicherheitsabstand – vorbeiläuft, bleibt stehen, stimmt ein, viele zücken ihr Smartphone und filmen die Szene, dann applaudieren sich alle gegenseitig. Danach tönen Flötenklänge von einem Balkon, wieder Applaus. Der besonderen Stimmung des Moments kann man sich kaum entziehen.
Jeden Abend um dieselbe Zeit gibt es in dieser Straße ein musikalisches Stelldichein. Es ist eine von unzähligen Formen, wie Menschen – vielleicht auf ganz neue Weise – in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten zueinander finden. Not macht erfinderisch, heißt es. Das lässt sich im Moment vielerorts beobachten. Eine ungeheure Kreativität bricht sich Bahn, um trotzdem Gemeinschaft erleben zu können. Auch christliche Gruppen und Kirchen entwickeln ganz neue Ideen für ihr Gemeindeleben und die Verkündigung: seien es Hauskreistreffen per Videokonferenz, Veranstaltungen im Livestream, Gottesdienste als Audio-Podcasts, Gebets-Chats, Bibelkreise per Instagram oder auch ganz analoge Formen: Pastor Gunnar Engel aus Wanderup fährt durch sein Dorf und gibt über Lautsprecher an verschiedenen Stellen einen Abendsegen weiter. Im schweizerischen St. Gallen lädt ein Pfarrer dazu ein, die Bibel von Hand abzuschreiben. Andernorts malen Pfarrer Bibelverse mit Kreide auf die Straße. Die Liste ließe sich fortsetzen. pro hat einige Ideen beispielhaft zusammengestellt.
Hoffnung braucht langen Atem
Es macht Mut und Freude, zu sehen, wie sich die frohe und hoffnungsvolle Botschaft des christlichen Glaubens ihren Weg zu den Menschen bahnt, auch wenn die Versammlungen der Gemeinde ausfallen. Das wird auch Ostern noch betreffen. Es ist bitter, nicht mit der ganzen Gemeinde in der Kirche „Christ ist erstanden“ singen zu können. Dann eben vom Balkon: Vielleicht ist es in den unsicheren Zeiten wie diesen umso wichtiger, die Botschaft vom Sieg von Jesus Christus über den Tod und von der Versöhnung mit Gott gerade nicht in, sondern außerhalb der Kirche zu singen.
Wie wird es sein, wenn das Virus seine Macht verloren hat und die Beschränkungen aufgehoben wurden? Werden wir Christen dann weiterhin so findig und motiviert sein, unseren Glauben in die Öffentlichkeit zu tragen? Die Krise wird nicht mit einem Mal vorbei sein. Die wirtschaftlichen Folgen etwa werden viele Menschen noch spüren, wenn vom Virus keiner mehr redet. Hoffnung braucht einen langen Atem.