Meine Kollegin Elisabeth Hausen vom Israelnetz Magazin sagte heute einen dieser Sätze, wie sie nur von ihr stammen können. „Gestern gab es ein Erdbeben in Haifa. Ach ja, und in Thüringen.“
Sie hatte Recht. In Haifa bebte die Erde, in Thüringen das parteipolitische System. Einen weiteren wichtigen Unterschied gab es: Während das Erdbeben in Haifa mit einer Stärke von knapp 4,0 auf der Richterskala verhältnismäßig glimpflich verlief, hat die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten das Zeug, die ganze Parteienlandschaft ins Wanken zu bringen.
Kemmerich hatte sich von seiner FDP-Fraktion wohl eher symbolisch zur Wahl des Ministerpräsidenten gegen Bodo Ramelow (Linke) und den parteilosen AfD-Kandidaten Christoph Kindervater gestellt. Ramelow fiel in den ersten beiden Wahlgängen erwartungsgemäß durch. Im dritten Wahlgang hätte eine relative Mehrheit gereicht. Die AfD allerdings ließ ihren Kandidaten eiskalt fallen und stimmte für FDP-Mann Kemmerich. Am Ende hatte er eine einzige Stimme mehr als Bodo Ramelow. Im Landtag herrschte Entsetzen. Die Liberalen, die bei der Landtagswahl nur 73 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde lagen, stellten plötzlich zum ersten Mal seit sechs Jahrzehnten in einem Bundesland den Landesvater.
Ein einfaches „Nein“ hätte genügt
„So ist eben Demokratie“, sagt mancher jetzt achselzuckend. Doch so einfach ist es nicht. Die Thüringer AfD ist der radikalste Verband der Rechtspopulisten, ihr Chef Björn Höcke darf laut einem Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden. Zu Recht hat die CDU jede Zusammenarbeit mit der AfD per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen, ebenfalls mit der Linkspartei. Das brachte die CDU in eine vertrackte Lage: Sie darf nicht für Ramelow stimmen, aber auch nicht ihren Chef Mike Mohring ins Rennen schicken, weil er nur mit AfD-Stimmen hätte gewählt werden können. Also stimmte sie für den liberalen Kemmerich. Klüger wäre es gewesen, hätten sich die Christdemokraten im dritten Wahlgang enthalten. Damit hätten sie signalisiert: Wir unterstützen keinen linken Ministerpräsidenten, wollen aber auch keinen liberalen von Gnaden der AfD. Die Ausrede, die FDP sei von der AfD-Finte überrascht worden, zieht nicht. Denn Kemmerich hätte die Frage, ob er die Wahl annehme, mit „Nein“ beantworten – und damit alle Spekulation einer Kooperation mit den Rechtspopulisten beenden können. Das tat er aber nicht.
Von einem „Zivilisationsbruch“ war im Anschluss die Rede. Selbst die ansonsten so zurückhaltende Bundeskanzlerin sprach von einem „unverzeihlichen Vorgang“. Unverzeihlich ist das Beben von Thüringen natürlich nicht, wie Christen eigentlich wissen sollten. Und tatsächlich trat heute, 24 Stunden nach seiner Wahl, ein geläuterter Thomas Kemmerich vor die Presse, verkündete seinen Rücktritt und das Vorhaben, den Landtag auflösen zu wollen. Ein Nachbeben, das aber nötig war. Es ist zu hoffen, dass das Ergebnis einer neuen Wahl für klare Mehrheiten sorgt. Ansonsten drohen weitere Erdstöße aus Thüringen.