Seit Tagen wird eine Sau durchs Dorf getrieben. Sie quiekt, ihre Verfolger kreischen, springen angeekelt zurück, schlagen drein oder jagen das Tier zurück in die Meute. Die Rede ist von der „Umweltsau“, die ein Kinderchor des WDR besang.
Es sollte eine Satire sein: Aus dem Kinderlied-Klassiker „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ wurde ein bissiger Kommentar auf klimaunbewusstes Verhalten Erwachsener. Die Oma in der neuen Fassung ist nicht mehr „ganz patent“ oder modern, sondern eine „alte Umweltsau“. Sie verbraucht mit ihrem Motorrad tausend Liter Super im Monat, überrollt mit einem SUV Rollator-fahrende Opas, brät sich täglich Koteletts aus billigem Discounterfleisch und macht zehn Kreuzfahrten im Jahr. Dafür hat sie das Fliegen aufgegeben. Denn so eine Umweltsau ist sie schließlich auch wieder nicht.
Der WDR-Kinderchor sang das Lied, der Sender postete das Video noch vor Weihnachten in den Sozialen Medien. Als Reaktion auf die Reaktionen darauf löschte er es am 27. Dezember wieder, aber das machte alles nur noch schlimmer. Die Sau war im Dorf und ließ sich nicht mehr einfangen. Als dann auf Twitter auch noch eine „Nazisau“ ins Rennen geschickt wurde, gab es kein Halten mehr. Vorwürfe waren unter anderem, der WDR treibe einen Keil zwischen die Generationen, er belehre sein Publikum, er instrumentalisiere Kinder für eine politische Botschaft. Es gab eine Demonstration vor dem Funkhaus in Köln und Morddrohungen gegen Mitarbeiter des Senders. Intendant Tom Buhrow und Programmchef Jochen Rausch entschuldigten sich öffentlich für das „missglückte Video“. Andere empörten sich daraufhin, dass der Sender kein Rückgrat zeige und vor der Hetze von Rechten einknicke.
Auch namhafte Politiker konnten sich dem Skandalisierungsprozess nicht entziehen: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet schaltete sich ein und kritisierte das Lied. FDP-Europapolitikerin Nicola Beer bestritt, dass das Lied satirisch gemeint war. Wolfgang Kubicki, Parteivize der FDP, sprach von „Umerziehung“. SPD-Vorsitzende Saskia Esken äußerte sich hingegen „beunruhigt“ darüber, dass Verantwortliche – also Intendant Buhrow zum Beispiel – einem Shitstorm nicht standhielten und Medienschaffende nicht genügend Rückendeckung bekämen. Linken-Chef Bernd Riexinger nannte das Verhalten des Intendanten „unverständlich und töricht“, weil der sich nicht hinter seine Mitarbeiter gestellt habe.
Die Satire ging daneben
Wie eine Analyse auf Spiegel Online zeigte, heizten vor allem Twitter-Nutzer aus dem rechten Lager die Empörung an. Konservative Multiplikatoren griffen das Thema dann auf, Medien berichteten – und so nahm das Unheil seinen Lauf.
Was dabei wohl den größten Schaden nahm: das Klima.
Tom Buhrow fragte in seiner Stellungnahme: „Was ist mit unserem Land los, dass ein missglücktes Video zu Morddrohungen führt?“ Und er betonte: „Wir reden so viel vom Klima in diesen Monaten – wir brauchen ein neues Klima des Miteinanders in unserem Land.“ Damit hat er Recht.
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen stellte am Donnerstag im Deutschlandfunk zu der Debatte fest, dass die „Empörung über die Empörung der jeweils anderen Seite“ zum „kommunikativen Normalfall“ geworden sei. Erkenntnis werde so keine gewonnen. Die Gesellschaft müsse „Techniken der Abkühlung“ trainieren.
Ja, man kann sich über das Lied ärgern. Ist es wirklich angemessen und nötig, ein fröhliches Kinderlied, ein Lob auf lebenslustige und mitunter erstaunlich fitte und flippige Senioren, politisch und moralisch dermaßen aufzuladen? So etwas kann einem echt den Spaß verderben. Zudem ist „Umweltsau“ natürlich auch kein schmeichelhafter Begriff, selbst in einer Satire einfach nur platt statt feinsinnig. Und dann kann man durchaus auch fragen, ob Kinder verstehen, was Satire bedeutet. Dass ein solches beleidigendes Schimpfwort hier nicht so schlimm, weil ja ganz anders, aber doch schon ein bisschen so gemeint ist.
Schimpfwörter auf diese Weise in die Umwelt- und Klimadebatte einzuführen und sie auf SUV-, Motorrad- und Kreuzfahrer im Allgemeinen anzuwenden, erstickt jede sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, auch wenn’s lustig gemeint sein soll. Für viele ist es eben nicht lustig. Die Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollten mittlerweile schon bemerkt haben, dass der Klimawandel in unserer Gesellschaft sehr kontrovers und emotional diskutiert wird. Dass nicht jeder Greta Thunberg für heilig hält, dass mancher sich erlaubt, absolut gesetzte Aussagen zum Klimawandel infrage zu stellen, und dass sicherlich auch einige Mediennutzer das Dauer-Nachrichtenthema Klima satt haben. Eine solche Satire aus dem Mund von Kindern ist daher sicherlich nicht das Mittel der Wahl, um Verständnis für Kima- und Umweltthemen zu wecken. Insofern ist die Empörungswelle so überraschend eigentlich nicht.
Trainingsprogramm: Abkühlen
Aber man muss eben auch die Kirche im Dorf und kann die Sau im Stall lassen. Das beginnt zum Beispiel damit, erst nachzudenken und dann zu kommentieren. Wer sich den Text des Liedes genau anschaut, stellt schnell fest, dass es nicht wirklich einen Generationenkonflikt schürt oder Senioren moralisch verurteilt. Wie auch das Original hat das Lied ein Augenzwinkern dabei, sodass man es nicht todernst nehmen muss.
Und selbst wer es nicht mit Humor nehmen kann, der möge hinnehmen, dass auch seine eigene Meinung nicht die absolute Wahrheit sein kann. Oder dass ein anderer zumindest dasselbe Recht hat, seine Meinung für richtig zu halten. Das ist natürlich keine neue Idee für das sozialverträgliche Miteinander, im Gegenteil: Es ist eine seiner Grundlagen. Daher ist es umso wichtiger, wenn wir – endlich – wieder dahin zurückfinden.
Zum neuen Jahr machen sich manche Menschen gute Vorsätze. Mehr Sport zu treiben ist ein gern gewählter. Wie wäre es, wenn wir ins Trainingsprogramm auch das Abkühlen aufnehmen, von dem Pörksen sprach? Das wäre dem Klima des Miteinanders zuträglicher, als immer und immer wieder Säue durch die Medien zu treiben.