Die Kirche wird zum politischen Aktivisten

Deutschlands Protestanten wollen ein Schiff zur Seenotrettung kaufen. Damit dürften sie die Herzen der meisten Deutschen erreichen. Doch sollte dieses Schiff in See stechen, wird die Kirche zum politischen Player. Das ändert Einiges. Ein Kommentar von Anna Lutz
Von PRO
Geflüchtete vor der Insel Lesbos: Die Evangelische Kirche will sich mit einem Schiff an der Seenotrettung beteiligen

Die Evangelische Kirche in Deutschland schickt ein Schiff ins Mittelmeer, das in Seenot geratene Geflüchtete retten soll. In einigen Monaten könnte es in See stechen. Das ist wenig überraschend. Bereits am Kirchentag verabschiedeten die Protestanten eine Resolution mit der Forderung nach einem „Kirchenschiff“. Kurz darauf sprach sich der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm dafür aus. Damals legte er noch Wert darauf, dass es kein „Schiff der Kirchen“ sein, sondern von Vielen mitgetragen werden solle.

Auch am Donnerstag in Berlin ließ der Ratsvorsitzende keinen Zweifel daran, dass die Kirche ihr Vorhaben nicht alleine stemmen werde. Nicht Kirchensteuergelder sollen dafür aufgebracht werden, sondern ein Trägerverein aus Unternehmen, Schulen, Kirchgemeinden und etwa Kultureinrichtungen soll Spenden sammeln.

Und doch hat sich etwas verändert seit Juni. Bedford-Strohm scheint die Idee, dass es seine Kirche ist, die ein Schiff entsendet, nicht mehr ganz unwillkommen zu sein. Nicht umsonst präsentierte er den Ratsbeschluss groß angelegt vor der Bundespressekonferenz in Berlin, dem Wirkungsort der Hauptstadtjournalisten, und nicht etwa im Haus der Evangelischen Kirche, wo sich meist eher die Fachpresse einfindet.

Ein Schiff der Herzen

Über die Gründe dafür lässt sich spekulieren. Es erscheint allemal einleuchtend, dass eine Kirche, die mit massivem Mitgliederschwund kämpft, nun ein Thema besetzt, dem die deutsche Gesellschaft überwiegend positiv gegenüber steht. 72 Prozent der Bundesbürger finden es gut, dass private Initiativen Geflüchtete retten. So sehr Bedford-Strohm abzunehmen ist, dass er das Anliegen der Seenotrettung aus persönlicher und christlicher Überzeugung unterstützt – er hat auch ein Gewinnerthema besetzt. Und glaubt man jüngsten Erhebungen, dann wird eine Kirche, die auch künftig relevant sein will, weniger auf geistliche und vermehrt auf karitative Themen setzen müssen. Denn auf diesem Feld ist sie auch in einer postmodernen Welt ein geschätzter Akteur.

Nicht ganz so klar war, wie die Mitglieder der Kirchen sich zum Thema Seenotrettung stellen würden. Es gebe auch in den eigenen Reihen Kritiker, räumte Bedford-Strohm am Donnerstag ein. Dennoch sei die Zahl der ermutigenden Zuschriften überwältigend gewesen und auch der Rat selbst habe „große Einigkeit“ gezeigt. „Jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes“, sagte der Ratsvorsitzende und leitete daraus eine Christenpflicht zur Rettung Ertrinkender ab.

Eine politische Strategie muss her

So recht er damit hat, so sehr wird er sich nun jenen stellen müssen, die teils berechtigte Anfragen an eine kirchliche Seenotrettung haben: Wo etwa soll das Schiff anlegen, wenn sich die Regierungen Europas weiterhin weigern, Geflüchtete aufzunehmen? Wird die Kirche von Regierungschefs als Player ernst genug genommen, um Verhandlungen zu beeinflussen? Und: Will sie das überhaupt? Immerhin könnten kirchliche Seenotretter in die Lage kommen, Beihilfe zur illegalen Einwanderung leisten zu müssen, wenn es nicht rasch eine internationale Einigung für einen realistischen Verteilungsschlüssel gibt. Anders gesagt: Statt wie bisher Forderungen zu stellen und Pressemitteilungen zu versenden, zieht sich die Kirche nun selbst die Rettungswesten und Arbeitshandschuhe an. Das ändert einiges. So sehr der Verweis auf die christliche Pflicht zur Nächstenliebe auch die Herzen bewegt: Das allein reicht nun nicht mehr. Die Kirche braucht eine politische Strategie für das Thema Seenotrettung.

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