Die Menschen in Sachsen und Brandenburg haben gewählt. Vertreter der bisherigen Volksparteien CDU und SPD atmen auf. Am Rande des Wahlabends hörte man vielfach Sätze wie diesen: „Die etablierten Parteien sind noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.“ Andere wiederum sagen: „Die AfD ist im Osten längst etabliert, sie ist auf dem Weg zur Volkspartei.“
Richtig ist: In beiden Bundesländern hat die AfD jeweils deutlich zugelegt (Sachsen: 27,5 Prozent, +17,8; Brandenburg: 23,5 Prozent, +11,3). Bei stark gestiegener Wahlbeteiligung haben rund ein Viertel aller Wahlberechtigten ihr Kreuzchen bei jener rechten Protestpartei gemacht, die gern provoziert und die offenbar nichts dagegen hat, wenn Teile ihres Spitzenpersonals offen nationalistisch und fremdenfeindlich auftreten. Tatsache ist aber auch: Fast drei Viertel der Wählerinnen und Wähler haben für Parteien gestimmt, die mit dieser Art Protest nichts am Hut haben wollen. Die beiden einst großen Parteien haben zwar kräftig Federn gelassen, aber anders als noch vor Wochen absehbar, blieben die CDU in Sachsen und die SPD in Brandenburg jeweils stärkste Kraft. Um eine stabile, mehrheitsfähige Koalition zustande zu bringen, brauchen der Christdemokrat Michael Kretschmer in Dresden und der Sozialdemokrat Dietmar Woidtke in Potsdam künftig jedoch gleich zwei Regierungspartner. Die Grünen, die in beiden ostdeutschen Ländern zulegen konnten, werden jeweils zum Zünglein an der Waage.
Alles noch mal gut gegangen? Wer so denkt in den bisher etablierten Parteien, in den Kirchen oder Rundfunksendern, der hat den Schuss noch nicht gehört. Die Erosion der politischen Landschaft schreitet voran: In Sachsen ist die einst so stolze SPD nur noch fünftstärkste Kraft – und nicht mehr weit entfernt von der Fünfprozenthürde. Noch dramatischer sind die Verluste für die Linken: Aus Sicht mancher Beobachter haben sie genau 30 Jahre nach dem Mauerfall ihren Status als ostdeutsche Regionalpartei an die AfD verloren.
Deutschland wird sich insgesamt an schwierige Regierungsbildungsprozesse gewöhnen müssen. Die Zahl von Dreierbündnissen wird zunehmen. Mehr als früher wird auch die Möglichkeit von Minderheitsregierungen zum Thema werden. Damit steigt die Gefahr von wachsender politischer Instabilität – das Zeitalter „ewiger“ Regierungen in Deutschland neigt sich dem Ende. Das für sich muss noch kein Alarmsignal sein: In vielen anderen Staaten hat sich erwiesen, dass häufigere Regierungswechsel durchaus ein Zeichen für eine lebendige, funktionierende Demokratie sein können. Doch die Zeiten, in denen wir leben, sind anders: Überall zeigen sich in den Demokratien des Westens Risse und Spaltungstendenzen in den Gesellschaften.
Herausforderung für Öffentlich-Rechtliche
Ob es um Klimaschutz geht, den Diesel, zu hohe Mieten oder den richtigen Umgang mit dem Asylrecht: Die politischen Debatten unserer Tage nehmen nicht nur an Hektik und Kurzatmigkeit zu, sondern auch an Schärfe. Lautstärke und Emotion wiegen oft mehr als abgewogene Sachargumente. Und das hat nicht nur mit dem Phänomen der (oft so un-)sozialen digitalen Medien zu tun. Wer bietet gute Antworten auf komplexe Fragen? Was sind unsere Rezepte gegen Enttäuschung, Wut, Hass und zunehmende Gewaltbereitschaft? Gerade jetzt gelingt es auch den christlichen Kirchen viel zu wenig, Orientierung zu geben und zu zeigen, dass die Friedensbotschaft von Jesus Christus, dass die Geisteshaltung „Fürchtet euch nicht“ und die Ethik der Bergpredigt wirklich alltagstauglich sind.
Herausgefordert durch die Wahlergebnisse im Osten sind auch die Medienmacher. Vor allem jene, die für öffentlich-rechtliche Sender tätig sind. Über Jahrzehnte galten die Rundfunkanstalten als Bollwerke unserer Demokratie: Denn in den Staatsverträgen ist die Vertretung der „gesellschaftlich-relevanten Gruppen“ in den Sendergremien ebenso geregelt wie der „Parteienproporz“. Wenn aber die AfD künftig nicht nur in Sachsen, sondern auch in den Nachbarländern mehr Wählerstimmen erhalten würde, als SPD, Grüne und Linke zusammen, dann dürfte dies mittelfristig auch in den Entscheidungsstrukturen eines Senders wie dem Mitteldeutschen Rundfunks spürbar werden.
Von: Christoph Irion