Am Freitag, knapp eine Woche nach Erscheinen, hat das Video von Rezo mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ über sieben Millionen Aufrufe. Zum Vergleich: Eine Plattform wie Bento, das Jugendportal des Spiegel, hat monatlich und als Ganzes rund 11 Millionen Besuche. Rezo ist mit seinem politischen Zwischenruf erfolgreicher, als er wohl selbst erwartet hat. Seine Worte werden Einfluss auf die Wahlen am kommenden Wochenende haben. Die CDU wird Stimmen einbüßen, andere werden diese gewinnen. Die Zerstörung der Partei wird ihm nicht gelingen, dafür überschneiden sich seine und die christdemokratische Zielgruppe wohl zu wenig. Dennoch ist es nicht übertrieben, zu schreiben: Rezo hat die öffentliche Wahrnehmung verändert. Er hat Einfluss genommen auf die politische Meinung von Millionen. Sein Ruf, den er am Ende des einstündigen Videos in die Welt schickt, wurde gehört und wird von so manchem befolgt werden: „Wählt bitte nicht die SPD, wählt bitte nicht die CDU, wählt bitte nicht die CSU und schon gar nicht die AfD“, wie er am Ende seines Clips fordert.
Mancher deutet das als Wiederbelebung des politischen Interesses der Generation Z, jener heute bis zu Anfang-20-Jährigen, die vielleicht zum ersten Mal wählen gehen und die die altgedienten Parteien wie Union oder SPD nie gewinnen konnten. Es stimmt, man darf Rezo dafür applaudieren, dass er jungen Menschen dabei hilft, politisches Interesse zu entwickeln und Denkanstöße gibt. Er ist nicht der einzige. Der Journalist und Grimme-Online-Preisträger Tilo Jung versucht mit seinem Kanal „Jung & Naiv“ ähnliches. Rezo zitiert ihn nicht ohne Grund an vielen Stellen seines Clips. Im Gegensatz zu Jung aber bezeichnet sich Rezo nicht als Journalist. Normalerweise produziert er eher halbwitzige Comedy- und Unterhaltungsclips, gelegentlich, aber eher selten, ist ein politisches Thema dabei.
Welchen Werten ist Rezo verpflichtet?
An dieser Stelle beginnt das Problem. Journalist kann sich in Deutschland jeder nennen. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt. Wer es aber tut, der verpflichtet sich einer Agenda, genannt Pressekodex. Der besteht nicht aus politischen Ansinnen, sondern aus ethischen Maßgaben. Journalisten streben nach der Wahrheit. Sie arbeiten sorgfältig. Sie werben nicht für Unternehmen oder Parteien. Sie achten die Menschenrechte. Sie wenden keine unlauteren Methoden an. Sie berichten fair und hören die andere Seite. Wer ein journalistisches Produkt konsumiert, der weiß, was er bekommt – auch wenn es freilich Qualitätsunterschiede gibt. Missachtet eine Redaktion journalistische Grundsätze, kann sie dafür öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Es gab eine Zeit, da waren Journalisten diejenigen mit der Reichweite. Das ist vorbei. Medienexperten wie der Wissenschaftler Bernhard Pörksen sprechen von einem Bedeutungsverlust der sogenannten Gatekeeper: Noch vor zwanzig Jahren bestimmten Redaktionen, welche Themen und Inhalte Öffentlichkeit erfuhren. Heute kann das jeder tun. Auf YouTube, Facebook oder Twitter. Rezo ist ein eindrückliches, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel dafür. Sieben Millionen Aufrufe haben nur die Wenigsten, aber das Internet ist voll von allem möglichen und alles mögliche kann geklickt werden: Verschwörungstheorien, politische Meinungen, religiöse Überzeugungen, Schminktipps, Computerspieleanleitungen. Es gibt alles und die Qualität dessen, was es zu sehen gibt, bleibt weitgehend ungeprüft. Die einzige Hoffnung ruht auf dem Schwarm, der Masse der Nutzer, die hoffentlich aufschreit, wenn sie mangelhafte Recherche oder Lügen aufdeckt. Dass das nicht funktioniert, ist offensichtlich. Soziale Netzwerke bedienen sich der Sucht nach dem nächsten Skandal und der größten Emotion. Es zählt, was klickt, die Wahrheit bleibt dabei allzu oft auf der Strecke.
Was der YouTuber verschweigt
Nun ist Rezo im Vergleich zu den Internetpräsenzen von AfD-Politikern oder Schlimmerem sicherlich eines der kleineren Probleme. Dennoch manipuliert er, indem er Wahlempfehlungen ausspricht, Fakten unsauber recherchiert und flach bürstet. Man nennt das Populismus. Das beginnt damit, dass Rezo gleich zu Beginn seiner 55 Minuten zu analysieren versucht, wer von der CDU-Politik der letzten drei Jahrzehnte profitiert hat. Statistiken über die Entwicklung von Bildung und Wirtschaft in Deutschland dienen ihm zum Beleg dafür, dass es nur die Reichen sein sollen. Dass in dieser Zeit nicht nur die CDU regiert hat und vor allem nicht alleine, lässt er großzügig außen vor. Und selbst wenn sie allein an der Macht gewesen wäre, so herrscht in Deutschland doch die parlamentarische Demokratie. Niemand ist hierzulande jemals wirklich alleine an der Macht. Und: Selbst Parteien mit absoluten Mehrheiten wären abhängig von Variablen, die sie nicht in der Hand haben. Wirtschaftskrisen, Flüchtlingsströme, Zuwanderung, Kriege – all das beeinflusst gesellschaftliche Entwicklungen. Schon nach den ersten fünf Minuten möchte man Rezo fragen, ob er wirklich glaubt, die Grünen hätten es besser hinbekommen. Oder gar die Linken. Denn nachdem er Union, SPD und AfD als Alternativen ausgeschlossen hat, bleiben nur diese beiden als ernstzunehmende politische Kräfte mit Erfolgsaussichten als wählbar übrig.
Rezo spricht davon, „wie die CDU unser Leben zerstört“ und macht das fest am Klimawandel und am Irakkrieg, den die Kanzlerin einst befürwortet hätte, so sein Vorwurf. Er nennt Beispiele für politische Inkompetenz: Die Drogenbeauftragte Marlene Mortler und den Europapolitiker Axel Voss. Und irgendwo zwischen seinen Empörungstiraden über ein Cannabis-Verbot und Kriegsverbrechen der Amerikaner darf sich der Zuschauer fragen, ob Rezo selbst seinem eigenen Aufruf folgt und den Bürger ernst nimmt. Etwa wenn er es verkürzt so darstellt, als sei Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die Fridays for Future-Proteste, weil sie erklärt hat, die Demonstrationen fänden besser außerhalb der Schulzeit statt. Als Gegner des Irakkriegs sei ihm gesagt: Man versammelte sich nicht während der Arbeitszeit zu etwa diesem Protest, sondern am Samstag. Undenkbar ist das ausschließlich im Fall von Arbeitsstreiks. Man fragt sich, wie er es verantworten kann, eine ganze Partei anhand zweier personeller Beispiele für inkompetent zu erklären – und ob er das selbst eigentlich als faire Berichterstattung bezeichnen würde. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und Spiegel Online haben mittlerweile noch mehr Ungenauigkeiten im Rezo-Video recherchiert.
Zeit für einen YouTube-Kodex
Es stimmt, das Internet ist Neuland. Mit sich bringt es eine neue Debattenkultur, in der sich jeder schnell empören, den politischen Gegner erniedrigen, Unwahrheiten verbreiten, Wahrheiten verzerren und dafür Klicks ernten kann. Rezo ist ein Beispiel dafür. Und er zeigt deutlich: Influencer ersetzen ernsthaften Journalismus mitnichten. Man stelle sich vor, Spiegel Online veröffentlichte morgen einen Aufruf zur Nichtwahl der CDU oder der SPD. Es verbietet sich. Wer den Bürger ernst nimmt, präsentiert gut recherchierte Fakten, die alle Seiten in gleichem Maße hinterfragen. Und überlässt die Entscheidung ihm selbst. Immer wieder rufen Netzaktivisten und Politiker dieser Tage nach einer Regulierung der Sozialen Plattformen. Den dort Publizierenden stünde auch eine Selbstverpflichtung ähnlich des Pressekodexes gut zu Gesicht.