Ich gebe gern zu, dass ich von Weihnachten und dem vierwöchigen Vorspiel namens Advent und dem Nachspiel „zwischen den Jahren“ nicht genug haben kann. Musik, Kerzen, Geschichten, Bilder, Farben, Gerüche, Kindheitserinnerungen – ganz großes Gefühlskino am Kachelofen. Und Zeit, ganz viel Zeit. „In den Herzen ist`s warm.“
Und das Weihnachtsoratorium. Eine göttliche Musik!
Und Gebäck.
Ich mache den Zuckerbäcker: Spritzgebäck für meine Kinder und Enkelkinder. Streng nach dem Rezept von Oma Gerda. Ein Christbaum aus eigener Schlachtung? Kein Problem. Ich schneide seit Jahren Prachtexemplare aus der nachwachsenden Nadelbaumgruppe im eigenen Garten. So viel Klischee muss sein. Eine freidosierbare Mischung aus biblischer Geschichte, Tradition, Kommerz und Nostalgie.
Früher in meinen wilden Jahren wollte ich sogar die zwangschristianisierte Nordmanntanne am Leben lassen. In Plastikfolie verpackte Geschenke wurden rigoros abgelehnt. Weihnachten naturbelassen, ökologisch, nachwachsend, wieder verwendbar und urwüchsig wie damals in Bethlehem. Das Kind im Futtertrog. Mehr nicht. Heute – 50 Jahre später – schäme ich mich noch nicht einmal, dass ich ins vorpubertäre Stadium der unbekümmerten Weihnachtsromantik zurückgefallen bin. So gesehen bin ich un-verschämt wieder ein Weihnachtsmann.
Worum es an Weihnachten geht
Ein Mann ist ein Wesen, das die Fußballtickets für drei Monate im Voraus kauft und mit den Weihnachtseinkäufen bis Heiligabend wartet. „Unerfüllbare Erwartungen sind die Hauptursache für Konflikte in der Weihnachtszeit – und die fangen schon bei dem Wunsch nach idyllisch-weißen Weihnachten an“, sagt Psychologe Fritz Propach. Zu Weihnachten treffen unterschiedliche Vorstellungen aufeinander – und das sorgt für Konfliktpotenzial. Immer, wenn es ganz besonders feierlich werden soll und die Erwartungen ins nicht mehr Leistbare schießen, wenn die Geschenkespirale das Vorjahresniveau toppen soll, dann steht „Friede auf Erden“ auf der Kippe.
Damit es uns nicht ebenso ergeht, hier einige Tipps zu einer stressfreien und inspirierenden Festzeit. Man sollte zu Weihnachten nicht nur auf den Wein achten:
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Viel Singen und Musizieren. Am besten Lieder ohne textlichen Bezug auf Schnee. Das Original hatte keinen Schnee. Und der kleine gewindelte Messias war kein blonder Schwede, sondern ein dunkelhäutiger Orientale. Der biblische Bericht bestätigt die heimelige Liedstrophe „Mitten im kalten Winter“ einfach nicht. Ich war oft auf den Hirtenfeldern in Bethlehem. Tagsüber heiß, nachts angenehm frisch. Während die Leute in Sibirien oder Grönland immer weiße Weihnachten feiern, transpirieren die Australier heftig unterm elektrifizierten Plastikbaum. Vergessen wir das Wetter, das braut sich auf den Azoren zusammen und wird vom Golfstrom aufgeladen. Es kommt wie es kommt. Weihnachten heißt, sich ordentlich anziehen und nicht übers Wetter meckern.
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Apropos: meckern. Christen sollten überhaupt weniger meckern. Ob auch meckernde Ziegen Zeugen der Geburt Jesu waren, bleibt spekulativ.
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Apropos: spekulativ. Es muss nicht immer Spekulatius sein, der zum Glühwein gereicht wird.
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Apropos Glühwein: An Weihnachten sollte man auch auf den Wein achten, aber vor allen Dingen auf die Weihe. Wir weihen unser Leben dem Kind in der Krippe. Erdiger geht’s nicht. Zerbrechlicher konnte es kaum ausgehen. Der Heiland der Welt, der verheißene Messias wird in eine Kulturepoche geworfen, wo die Römer die politische Kontrolle über den Mittelmeerraum hatten. Rom pflegte einen pompösen Kaiserkult. Eine religiös bereits über alle Ohren besetzte Welt.
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Apropos Welt: Jesus wurde nicht in einer Kirche geboren, sondern mitten in der Welt, mitten unter müffelnden Nutztieren, entdeckt von einigen asozialen Hüteburschen. Würde dieser Jesus heute geboren, dann vielleicht im Stau auf der A7 oder am Band bei VW, oder im Bankenviertel in Frankfurt.
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Apropos Bank: Jesus war vor seiner Wirksamkeit als ambulanter Religionslehrer auch bei der Bank, nämlich an der Hobelbank seines Vaters Josef, der bekanntlich ein Tekton – ein Architekt – war. Ein Baumeister.
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Apropos Baumeister: An Weihnachten können wir vom „Schaffe, schaffe“ ausruhen. Wir „machen“ nichts. Wir schenken uns Zeit. Zwischendurch Spülmaschine beladen und ausladen. Das Essen kann vor den Festtagen vorbereitet werden. Es muss nicht immer eine Gans sein.
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Apropos Gans: Wenn es zu Weihnachten im Gottesdienst heißt „Das Wort wurde Fleisch“, dann denken wir an Jesus, nicht an den Braten. Er wurde Mensch. Gottes Geschenk an uns.
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Apropos Geschenk: Die könnte man eigentlich bis zum zweiten Advent besorgt haben, mit einer Toleranz für uns Männer bis zum dritten Advent. Das Haus muss nicht perfekt sein, sondern wohnlich.
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Apropos wohnlich: Die Geburt Jesu ereignete sich in einem unwohnlichen Behelf. Das sollte der Messias sein, der Erlöser Israels und der Nationen? Ein gewindelter Junior eines kleinen Bauunternehmers in Nazareth kommt auf geheimnisvolle Weise unbehaust zur Welt. Alle Hotels sind ausgebucht. 30 Jahre später startet er seine Mission, um Heimatlosen eine Heimat zu geben. In jeder Hinsicht. Ein Investitionsprogramm wider die metaphysische Obdachlosigkeit.
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Apropos Obdachlosigkeit: An den Festtagen werden viele Menschen ihre Heimatlosigkeit spüren. Ladet euch ein paar Heimatlose ein. Teilt mit und teilt aus. Wir alle werden in unserer letzten Stunde nur das mitnehmen, was wir verschenkt haben. Was wir festhalten, muss hier bleiben. Schenkt euren Kindern kein Handy, sondern eure Wertschätzung und eure kostbare Zeit.
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Apropos Zeit: Wir haben nicht alle Zeit der Welt, um das Kind in der Krippe zu entdecken. Wer weiß, wie lange wir noch klar im Kopf sind? Der Heiligabend wird dann heilig, wenn wir im Anblick des Kindes Kinder Gottes werden, denn das ist unsere Bestimmung. Seine Botschaft ist Friede, Versöhnung, Barmherzigkeit und Gnade.
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Apropos Gnade: Wo Jesus das Fest bestimmt, die Tonart, die Melodie – da zieht Gnade ein. Spätestens im Jahresrückblick entdecken wir das Unfassbare: Gott wird Mensch. Klein. Gott wird beim Anblick seiner Geschöpfe schwach, geradezu ohnmächtig. Sein Konzept zur Überwindung von Zorn und Strafe hat einen Namen: Jesus, das Kind in der Krippe. Gottes Konter auf das Machtgebaren der scheinbar Mächtigen, dieser Putins und Trumps. Der Gipfel der Liebe Gottes.
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Apropos Liebe: Gott ist Liebe. Das macht das Fest zum Fest des Lebens. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Von: Jürgen Mette