Es geht um die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft

Auf der EKD-Synode herrschte bei der Aussprache zu sexualisierter Gewalt in der Kirche echte Betroffenheit. Es ist höchste Zeit dafür, dass nun Taten folgen, um solchen Missbrauch und seine Strukturen systematisch aufzuarbeiten. Denn es geht um mehr als um diese Taten selbst. Ein Kommentar von Jonathan Steinert
Von PRO
Die christliche Botschaft von der bedingungslosen Liebe Gottes auf der einen Seite, der Missbrauch von Macht und Sexualität innerhalb der Kirche auf der anderen: Das lässt auch Zweifel am Glauben an sich aufkommen.

Als Kirsten Fehrs, Bischöfin in Hamburg und Lübeck, vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Dienstag das Thema der sexualisierten Gewalt in der Kirche einbrachte, war es totenstill. So still war es sonst kaum auf dieser Tagung. Fehrs sprach persönlich und emotional. „Wir haben uns gegenüber uns anvertrauten Menschen schuldig gemacht“, bekannte sie. „Eine Kirche, die solcher Gewalt nicht wehrt, ist keine Kirche mehr!“

Nach Fehrs’ Vortrag erhoben sich die Synodalen und applaudierten, es klang kräftiger als nach anderen Berichten. Viele äußerten in der anschließenden Aussprache ihren Dank an die Bischöfin und auch ihre Betroffenheit. „Entsetzen“, „Scham“, diese Worte fielen mehr als einmal. Und man gewann den Eindruck, dass das hier nicht einfach nur Worte waren, die man eben so sagt, wenn man auf schlimme Nachrichten irgendetwas erwidern will.

Es kann einen nicht kaltlassen, zu hören, wie ein Pastor das Vertrauen eines Mädchens ausnutzt, wie er sie überfallartig küsst, sie von seiner Hilfe abhängig macht, seine Lust an ihr befriedigt, und ihr – als sie sich davon befreien will – ins Gesicht sagt: „Wem, meinst du, wird man glauben? Dir oder mir?“ Und wie Menschen, die etwas davon ahnen, wegsehen und schweigen.

Missbrauch von Glauben und Vertrauen

Nur wer so etwas selbst erlebt hat, wird ermessen können, was das bedeutet. Dafür, dass ein solcher Missbrauch der Sexualität, der Macht, des Vertrauens und auch des Glaubens innerhalb von christlichen Kirchen und Gemeinden unabhängig von der Konfession geschieht, die gerade für Vertrauen, Liebe und bedingungslose Annahme stehen – dafür gibt es schlicht keine anderen Worte als Scham und Entsetzen und die Notwendigkeit, Schuld einzugestehen.

Dass niemand davor gefeit ist, im kirchlichen Rahmen bei verschiedensten Gelegenheiten in sexuelle Versuchung zu kommen, wurde von Synodalen offen bekannt. Umso wichtiger, dass das Kirchenparlament nun konkrete Schritte verabschiedete, um Fälle von sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten und ihnen vorzubeugen. Schon seit 2010 haben EKD und Landeskirchen Maßnahmen dafür auf den Weg gebracht. Sie richteten etwa Unabhängige Kommissionen ein, entwickelten Schutzkonzepte, richteten eine Konferenz ein für Prävention, Intervention und Hilfe in Fällen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.

Nun soll das Ausmaß sexualisierter Gewalt mit zwei Studien ausgeleuchtet und systemische Besonderheiten in der Evangelischen Kirche analysiert werden, die Missbrauch – und seine Vertuschung – begünstigen. Auch die Landeskirchen werden noch stärker in die Pflicht genommen, zentrale Meldestellen einzurichten und Meldepflichten einzuführen, wenn es Anzeichen für derartigen Missbrauch gibt. Ein Beauftragtenrat der EKD trägt dafür die Verantwortung.

Das ist alles reichlich spät, wo doch das Thema die Evangelische Kirche schon seit mehreren Jahren beschäftigt und nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung der Synode stand. Noch gibt es für die Studien weder genaue Konzepte noch einen Zeitplan. Sicherlich machte auch die Untersuchung für die Katholische Kirche und die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema Druck auf die Protestanten, sich der Sache wirklich zu stellen. Die Reaktionen der Synode zeigen jedenfalls: Die EKD ist gewillt, das zu tun. Dahinter kann sie nicht mehr zurück. In einem Jahr muss der Rat der EKD der Synode berichten, wie es mit den beschlossenen Punkten vorangeht. Es ist höchste Zeit, denn es geht um mehr als die unsäglichen Fälle selbst. Es geht auch um Vertrauen und um die Glaubwürdigkeit der Kirche als Botschafterin der Liebe Gottes – und damit auch um die Botschaft selbst.

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