Alle Jahre wieder kommt pünktlich zum Ende des Oktobers die Frage auf, ob die Kirche reif sei für eine neue Reformation. Immer dann, wenn die ausgehöhlten und von innen beleuchteten Halloween-Kürbisse vor den Haustüren stehen. Man kann sich darüber ärgern, dass das putzige Halloween-Spektakel das Datum mit dem Reformationstag teilt. Bitte! Empören Sie sich. Auf dieser Empore ist immer noch Platz. Man könnte aber auch fragen, was diese kalendarisch erzwungene Mischung aus vorgezogenem Fasching und Nikolaustag zum einen uns und dem würdigen Anlass der Reformation zum anderen zu sagen hat.
Der Kürbis. Mächtig im Volumen, schwerfällig, bodenständig. Nicht auszudenken, wenn dieses Gewächs auf Bäumen reifen würde. Wenn diese üppige Frucht ihres Inhalts beraubt wird, weil sie der Hausfrau zur Zubereitung einer Suppe dient, dann taugt sie immer noch für die Dekoration der trüben Jahreszeit. Ich erinnere mich gern an die Zeit des nordamerikanischen indian summer, als ich auf meinem täglichen Weg zur Uni an jeder Straßenkreuzung der Vorstädte Chicagos an Bergen von Pumpkins vorbeikam, die in allen Formaten und sogar bereits ausgehöhlt und mit geschnitzten Gesichtern versehen zum Kauf angeboten wurden.
Ohne Evangelium macht sich Kirche überflüssig
Und was hat das mit dem Reformationstag zu tun? Luthers Leiden an einer Kirche, die ihres ursprünglichen Inhalts beraubt wurde, war die Geburtsstunde der Reformation. Ein ansehnliches Gehäuse ohne Substanz. Die Kerzen brennen, die Fassade leuchtet noch, aber innen gähnt die Hohlheit. Diese Gefahr droht Gemeinden jedweder Denomination, dass sie ihres spirituellen Inhalts beraubt werden, um dann inhaltsleer nur noch der Dekoration zu dienen.
Braucht die Kirche eine zweite Reformation zur Überwindung ihrer chronischen Schwindsucht? Was schwindet, wird verschwinden. Verschwindet das Evangelium, das Zeugnis vom Auferstandenen, dann bleibt nur noch der Appell an die Mitmenschlichkeit. Das ist immer gut, aber dazu braucht keiner die Kirche. Ich nehme viel sola structura wahr, statt sola gratia und sola scriptura. Fusionen von einst eigenständigen Gemeinden zu größeren konzentrierten Verwaltungseinheiten. Beileibe nicht nur ein landeskirchliches Phänomen. Viele ländliche Gemeinschaften und freie Gemeinden fusionieren oder resignieren und machen dicht. Zurück bleibt die hohle Fassade einer verlorenen Vision von Kirche.
Neue Leidenschaft für Christus
Reformation beginnt bei dir und mir, oder sie fällt aus. Menschen, die die Barmherzigkeit Gottes verkörpern und somit Kirche zu einem Erlebnis der Gnade Gottes machen. Und weil wir Kirche sind, geht es um eine spirituelle Reformation jedes Einzelnen, die Wiederherstellung der ursprünglichen Leidenschaft für Christus.
Kirche der Reformation braucht Erneuerungsbewegungen, wie zum Beispiel Taizé, die charismatische Bewegung, die Geistliche Gemeindeerneuerung (GGE) oder den freikirchlichen oder landeskirchlichen Pietismus, der sich durch persönliches Engagement, Bibellesen, Gebet, Mission, Evangelisation, Diakonie auszeichnete. Das waren die Qualitätsmerkmale der „Stillen im Lande“. Der frühe Pietismus war eine Aufbruchs- und Reformbewegung: wissenschaftlich, kulturprägend, diakonisch, weltweit missionarisch, fortschrittlich in der Pädagogik. Man wollte die Reformation Luthers vollenden. Vollendet ist sie nicht. Unser Auftrag wird immer ein unvollendeter bleiben. Und spätestens hier endet die Sinnhaftigkeit der Kürbis-Luther-Allegorie.
Wenn Sie in diesen Wochen die hohlen Kürbisse sehen, dann erinnern Sie sich an die Reformation. Gemeinde Jesu, die an biblischer Substanz verliert, schafft Hohlräume, die bestenfalls zur Dekoration taugen.
Darauf ein sahniges Kürbiscremesüppchen mit Kürbiskernöl verfeinert.