Hoffentlich Allianz versichert

Leute, die miteinander beten, bekämpfen sich nicht. Das kirchenüberschreitende gemeinsame Gebet ist eine anspruchsvolle Leibesübung zur Einheit des Leibes Christi. Getrennt überzeugen wir nicht. Eine Kolumne von Jürgen Mette
Von Jürgen Mette
Der Theologe Jürgen Mette leitete viele Jahre die Stiftung Marburger Medien. 2013 veröffentlichte er das Buch „Alles außer Mikado – Leben trotz Parkinson“, das es auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte.

„Geht es denn der Versicherung so schlecht, dass man schon für sie beten muss?“ Ich hatte einem nicht so ganz religiös sprachfähigen Freund erzählt, dass ich mich gerade auf eine Predigt zur Eröffnung der Allianzgebetswoche vorbereite.

Nein, nicht diese Allianz. Die Deutsche Evangelische Allianz (DEA). „Muss man die kennen? Was machen die so?“ „Die kümmern sich um die Einheit der Christen und ums Gebet.“ Der Satz war draußen, ich hatte meine Ruhe. Der ahnungslose Frager war bedient und zog von dannen. Aber dann hatte ich ein Problem. Was hatte ich da gesagt? Die Deutsche Evangelische Allianz stehe für Einheit der Christen? Wie werden wir tatsächlich wahrgenommen?

Als Mitglied des Hauptvorstands der DEA stelle ich fest, dass wir im zurückliegenden Jahr eher mit unserer Vielfalt alle Hände voll zu tun hatten. Und da habe ich gelernt, dass die Vielfalt nicht der Feind der Einheit ist, sondern ihr Verbündeter. Biblisch begründete Einheit ist der ständige Versuch, die produktive Meinungspluralität in theologischen und gesellschaftlichen Fragen so zu ordnen, dass sie dem Ganzen dienen, als das, „was Christum treibet“ (Martin Luther). Und das in einem Stil, in dem „ein jeder dem anderen mit Ehrerbietung zuvor kommt“. Im Gebet wird die zuweilen entfesselte Dynamik der Vielfalt so gezähmt, dass sie dienstbar und fruchtbar wird.

Eine zeitlose Initiative

Ich will mich auf keine Seite schlagen, sondern vermittelnd das Gemeinsame suchen. Was interessiert mich, wer zu welchem Netzwerk gehört? Man kommt ja kaum noch hinterher, sich für oder gegen eine Initiative zu entscheiden. Hier noch eine Petition gegen etwas, da eine Kampagne für etwas. Nun noch ein Missionsmanifest mit Thesen zum Comeback der Kirche. Na klar bin ich dafür. Wo soll ich unterschreiben? Die Kampagne „Zeit zum Aufstehen“ war breit aufgestellt und ist zum Ende des Reformationsjubiläums mit 20.000 Unterschriften in aller Stille beendet worden. Die Thesen waren ein deutliches Bekenntnis, aber zu was habe ich mich mit meiner Unterschrift nachhaltig verpflichtet?

Gibt es nicht eine zeitlose Initiative, wo ich nichts versprechen muss und wo es nicht um steile Thesen geht und wo ich mich von nichts distanzieren muss?

Doch, gibt es. Ich gehe seit meiner Kindheit zur Allianzgebetswoche. Leute, die miteinander beten, bekämpfen sich nicht, stoßen sich nicht gegenseitig vom Sockel, beschädigen sich nicht öffentlich. Wo sich zwei oder drei im Gebet vor Gott einig werden, da wird die Hackordnung der frommen Eitelkeiten außer Kraft gesetzt. In einer Gebetsgemeinschaft kann sich keiner profilieren. Beten eint. Lutheraner und Reformierte, Baptisten und Methodisten, Freikirchler und hier und da sogar Katholiken zusammen in der Gegenwart Gottes. Wer diese Disziplin im Januar im Stillen und Kleinen geübt hat, kann das Jahr über nicht gegen Glaubensgeschwister verbal randalieren. Das ist es, was ich an der Allianzgebetswoche so schätze. Im gemeinsamen Gebet verlieren die Differenzen ihre Macht (nicht ihre Bedeutung!). Die Mühe um Einheit der Christen ist kein Schwächeanfall der Kirche, sondern ein Attest ihrer Vitalität.

Eine Chance für die Einheit

Das ist kein frömmelndes Kaffeekränzchen, wo am Ende einer sagt „Du mr noch bäde!“ und dann nicht zum AMEN findet. Das kirchenüberschreitende gemeinsame Gebet ist eine anspruchsvolle Leibesübung zur Einheit des Leibes Christi. Getrennt überzeugen wir nicht.

Was wäre das für ein Befreiungsschlag gegen alle verhärteten Fronten, wenn wir die Allianzgebetswoche als Modell der Einheit in Christus erleben würden. Und das nicht erst im Himmel. Die Hölle würde in Depressionen versinken, weil wir uns auf den besinnen, der uns vereint: Jesus Christus. Wenn die Mitte stimmt, kann man an den Rändern tolerant sein. Wenn die Mitte nicht stimmt, muss man an den Rändern kämpfen. Allerdings haben wir Evangelischen zur Bestimmung der Mitte aus gutem Grund kein zentrales Lehramt. Wer das will, muss nach Rom emigrieren, um seine Ruhe zu haben. Der Diskurs um die Mitte (Christus, Gnade, Schrift und Glaube) bleibt uns als Gabe und Aufgabe erhalten. Wenn das in der Sache und im Ton fair abgeht, bekommt die Einheit eine Chance.

In der Allianzgebetswoche treten alle Differenzen zwischen den Kirchen für eine Woche in den Hintergrund. Es wird gebetet. Zeit zum Beten ist umkämpfte Zeit. Gehen wir weise damit um. Es steckt so viel Verheißung drin.

Von: Jürgen Mette

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