Wenn der katholische Theologe Johannes Hartl zur „Mehr“-Konferenz seines Gebetshauses nach Augsburg einlädt, folgen tausende evangelische und evangelikale Protestanten diesem Ruf. Sie singen und beten gemeinsam mit den Katholiken, sie lauschen den Vorträgen katholischer und evangelischer Redner. Bei kaum einer anderen Gelegenheit wird die Ökumene der Gläubigen so greifbar gelebt wie auf der „Mehr“ – soweit eben möglich. Abendmahl und Eucharistie finden getrennt statt, und das ist auch gut so.
Welche Gruppen die Bewegung um Hartl mehrheitlich gut oder schlecht finden, wird schnell unübersichtlich. Positive Worte kommen vom Bistum Augsburg und erstaunlicherweise von konservativen katholischen Medien, außerdem von der Deutschen Evangelischen Allianz, von teils charismatischen Freikirchlern sowie Evangelikalen in den Landeskirchen. Kritik gibt es von jenen Katholiken und Evangelikalen, die die Ökumene ablehnen. Auf Twitter meldeten sich Stimmen, die in der römisch-katholischen die einzig wahre Kirche sehen. Auf der anderen Seite warnt der evangelikale Bibelbund vor den Sonderlehren der Katholischen Kirche, in die Hartl alle Christen führen wolle.
Hartl spricht klarer als manch Evangelikaler
Die Vorträge von Hartl haben auf der diesjährigen „Mehr“ erneut eine Theologie vermittelt, die auch für evangelische und evangelikale Christen lehrreich, hilfreich und glaubensstärkend ist. Hartls Schwerpunkte sind nicht Marienverehrung oder die Unfehlbarkeit des Papstes, es geht ihm um leidenschaftliche Jüngerschaft und das Heil, das nur im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus zu finden ist. Intellektuell brillant wie nur wenige andere Zeitgenossen predigt Hartl ein Festhalten an der absoluten Wahrheit in einer postmodernen Welt, in der bereits der Begriff der Wahrheit zum Anstoß wird. Der katholische Charismatiker verteidigt das Christentum als alleinigen Heilsweg und die biblische Ethik mit einer Klarheit, wie sie auch in vermeintlich evangelikalen Gemeinden, Werken und Ausbildungsstätten längst nicht mehr selbstverständlich ist.
Dafür verdient Hartl Dank von Christen aller Konfessionen. Das bedeutet mitnichten, dass Protestanten und Katholiken die Grenzen zwischen den Konfessionen leugnen oder kleinreden sollten. Aus protestantischer Sicht gesprochen: Kritische Fragen an katholische Lehren und Institutionen haben nach wie vor ihre Berechtigung, solche Fragen sollten nicht als die Nörgelei irgendwelcher Auf-die-Bremse-Treter abgetan werden. Aber: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, sagt Jesus in der Bergpredigt. Hartl und das Gebetshaus Augsburg führen Menschen zum christlichen Glauben und festigen Tausende darin. Diese Früchte sind erkennbar, und sie sind ein Grund zur Freude.
Von: Moritz Breckner