Im Politikstudium haben wir in unserer Clique immer geschmunzelt, wenn im Seminar wieder ein „Alt-Linker“ – derer gab es viele an der Universität in Gießen – aufstand und seine, aus meiner Sicht, steilen Thesen, vertreten hat. Da war schon vieles sehr gewöhnungsbedürftig, wenn er seine sozialistschen, nicht in meine Lebenswelt passenden Thesen, vertrat.
Trotzdem breche ich in der Rückschau eine Lanze für diese Debatten. Die Universität steht für die Freiheit von Forschung und Lehre. Universitäten sind die Denkfabriken des Landes, in denen die wichtigen Entwicklungen wahrgenommen, diskutiert und analysiert werden sollten.
Was der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes Bernhard Kempen beobachtet, ist deswegen ein Alarmsignal: Er sieht die Tendenz, dass sich Studenten an den Universitäten ihren Wohlfühlraum schafften. In deren Weltbild passten häufig keine Thesen der Professoren mehr, die nicht ihrer eigenen Lebenswelt entsprechen.
Kopftuch, Evolution und Sexismus
Studenten fühlten sich oft schon verletzt, wenn ein Professor in Vorlesungen oder Seminaren nicht ihre Thesen vertrete. Dies könne auch dazu führen, dass zum Beispiel Erkenntnisse der Evolutionsbiologie verschwiegen werden sollen, weil sie religiöse Gefühle verletzten. Und damit wird das System von Universität ad absurdum geführt. „Das rührt an die Substanz der Institution Universität“, findet Kempen.
Dies betrifft auch andere weltanschauliche Fragen. In Würzburg hatte eine Professorin alle Studenten gebeten, ihre Kopfbedeckungen abzunehmen. Darunter waren auch muslimische Studentinnen, die ein Kopftuch trugen. Aus Kempens Sicht sind religiöse Überzeugung zu akzeptieren, wenn sie nicht die Freiheit der Wissenschaft infrage stellen. In Berlin-Hellersdorf prangte ein Gedicht an der Fassade einer Hochschule, das einige Studenten unangenehm an sexuelle Belästigung erinnerte, „der Frauen alltäglich ausgesetzt sind“. Ab Mittwoch dürfen die Hochschulangehörigen online darüber abstimmen, ob es von der Fassade verschwinden soll. Genau über die Fälle, die das betrifft, sollten Universitäten debattieren und streiten, und nicht der Konfrontation ausweichen.
Wenn das nicht mehr gelingt, sieht es düster aus. Kempen sagt dazu der Tageszeitung Die Welt: „Heute versuchen wir alle, und da nehme ich die Dozenten nicht aus, niemanden zu brüskieren, niemandem eine Ansicht zuzumuten, die ihn verletzen könnte.“ Die Wortführer dafür verortet er in keiner bestimmten politischen Richtung. Zu schnell werde sich erregt, ohne die wissenschaftliche Debatte zu schätzen.
Gerade an den Universitäten sollten Diskurse stattfinden. Dabei kann es auch hoch hergehen, wenn die Grenze der Freiheit von Forschung und Lehre eingehalten wird. Deutschland gilt als Land der Dichter und Denker. Vor allem der zweite Punkt gehört an die deutschen Universitäten.
Von: Johannes Weil