Bessere Gesetze statt nur Gebete!

Nach dem Amoklauf in einer texanischen Kirche rufen Politiker wie üblich zu Gebeten für die Opfer auf. Dabei wäre es längst überfällig, dem auch politische Maßnahmen folgen zu lassen. Ein Kommentar von Moritz Breckner
Von PRO
270 bis 310 Millionen Schusswaffen sollen in den USA im Umlauf sein. 2009 begingen von 31.347 Schusswaffentoten mehr als die Hälfte Suizid. Etwas mehr als jeder Dritte wurde ermordet.

Es ist ein Alptraum, wie man ihn sich schlimmer kaum vorstellen kann. Eine kleine Kirche in einem Dorf in Texas, Gottesdienst am Sonntagmorgen. Ein schwer bewaffneter Mann kommt herein, schießt um sich. Es sterben 26 Menschen, das jüngste Opfer ist fünf Jahre alt, das älteste 72. Auch die 14-jährige Tochter des Pastors wird ermordet. Über den Täter wird langsam mehr bekannt: Unehrenhaft aus der Armee entlassen, soll mal Frau und Kind bedroht haben, prahlte in sozialen Medien mit seinem Gewehr. Er soll ehrenamtlich Bibelstunden für Kinder gestaltet haben, andererseits folgte er auf Facebook vielen Atheisten-Seiten.

In Gedanken und Gebeten, so die längst abgenutzte Floskel, ist ganz Amerika bei den Opfern und dem kleinen Dorf Sutherland Springs. Meist konservative Spitzenpolitiker rufen zum Gebet auf – ein richtiger Schritt, gegangen in guter Absicht. Aber nicht genug.

Nach den Massakern in Schulen, Universitäten, auf Konzerten oder nun erneut in einer Kirche ist der Ablauf in den USA immer der gleiche. Schusswaffengegner der politischen Linken beschimpfen auf Twitter die Republikaner, schuld zu sein. Der Vorwurf, die Linke instrumentalisiere die Toten für ihre politische Agenda, noch bevor die Leichen gezählt seien, ist nicht von der Hand zu weisen. Konservative, Republikaner und Waffen-Befürworter mahnen, erst nach einer pietätvollen Zeit der Trauer über Konsequenzen zu diskutieren – oft eine Ausrede, um die Debatte zu verschleppen. Nach ein paar Tagen der Trauer ist alles wieder vergessen, bis das Ritual von neuem beginnt. Nach dem Massenmord in Las Vegas 2017 sagte CNN-Moderator Jake Tapper fast das gleiche wie der damalige Präsident Barack Obama nach dem Massenmord in der Grundschule von Sandy Hook 2012: Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich vor die Kameras trete, um über eine solche Nachricht zu sprechen. Amerika hat resigniert.

Die Vereinigten Staaten brauchen eine ehrliche Debatte über das Waffenrecht. Es ist Selbstbetrug, das noch länger zu ignorieren. Eine solche Debatte könnte gar eine Chance zur inzwischen so schmerzlich selten gewordenen Überparteilichkeit in Washington sein, moderate Demokraten gemeinsam mit kompromissbereiten Republikanern, die gemeinsam wenigstens den Versuch unternehmen, etwas auf den Weg zu bringen.

Natürlich gibt es Argumente von Waffen-Befürwortern, die nicht unberechtigt sind. Dazu gehören:

  • Das Recht auf Waffenbesitz ist in der US-Verfassung und in vielen Bundesstaaten fest verankert

  • Menschen, die wirklich etwas Böses planen, werden sich immer eine Waffe besorgen können

  • Es sind über 300 Millionen Waffen im Umlauf – Einschränkungen im Verkaufsrecht für Waffen ändern daran nichts

  • Waffen zur Jagd oder Selbstverteidigung gehören zur Freiheit des Menschen und sind gerade in ländlichen Gegenden der USA wichtig

  • Die große Mehrheit der Waffenbesitzer geht verantwortungsbewusst und vorsichtig mit den Waffen um

Befürworter dieser Thesen sollten aber endlich auch bedenken:

  • Gewehre zur Jagd und Pistolen zur Selbstverteidigung sind etwas anderes als schwere Kriegswaffen. Es gibt derzeit keinen rationalen Grund, warum Zivilisten ein oder mehrere Maschinengewehre besitzen oder ihre Gewehre mit Zubehör beliebig aufrüsten sollten.

  • Schon das Vorhandensein eines Schranks voller Sturmgewehre kann die Hemmschwelle senken, eine böse Gewaltfantasie in die Tat umzusetzen

  • Bessere Kontrollen derjenigen, die eine Waffe und gewisses Zubehör kaufen wollen, bevor sie dies tun, widersprechen nicht dem Recht auf Waffenbesitz.

  • Das Recht auf Waffenbesitz kann für Gruppen und Personen eingeschränkt werden. Wer vorbestraft ist, mal im Gefängnis saß oder drogensüchtig war, wer verhaftet wurde, weil er Nachbarn bedrohte oder seine Frau schlug – der sollte keine Waffe kaufen dürfen. Das ist auch in vielen Bundesstaaten in ähnlicher Form Rechtslage. Ein solches Gesetz gibt es übrigens in Texas, der Todesschütze konnte es allerdings umgehen. Wo Waffenbesitzer kriminell oder verhaltensauffällig werden, wäre es der Öffentlichkeit sogar vermittelbar, demjenigen seine bereits erworbenen Waffen wieder abzunehmen.

Zwischen vielen Argumenten beider Seiten besteht also nicht einmal ein Widerspruch. Es gibt keinen Grund, besser gesagt keine Entschuldigung, warum nicht beispielsweise Abgeordnete aus Repräsentantenhaus und Senat einen vernünftigen Maßnahmenkatalog als Diskussionsgrundlage entwerfen, vielleicht sogar in Abstimmung mit dem Weißen Haus. Der Schusswaffenverband NRA, von Linken oft verschwörungstheoretisch als allmächtige finstere Lobby dargestellt, hat nach dem Blutbad von Las Vegas Bewegungsbereitschaft signalisiert. Auch hier könnte das Gespräch gesucht werden.

Was Amerika heilen könnte

Im September erschoss sich in Florida aus Versehen ein vierjähriges Mädchen, als es in der Handtasche ihrer Großmutter nach Süßigkeiten suchte und eine Waffe fand. Im August starb ein Zweijähriger, der mit seinem ein Jahr älteren Bruder beim Spielen eine Pistole gefunden hatte. Solche Fälle lassen niemanden kalt. Entgegen mancher Vorurteile mangelt es in den USA nicht an Empathie. Aber es mangelt am Mut, im vergifteten politischen Klima etwas zu wagen. Doch wer zum Gebet für die Opfer aufruft, der sollte sich auch seiner eigenen Verantwortung bewusst sein, diesen Mut aufzubringen.

Der Täter von Texas hätte keine Waffe haben dürfen, die vorhandenen Gesetze und Richtlinien haben nicht geholfen. Strengere Gesetze werden nichts daran ändern, dass es auch in Zukunft Amokläufe in den USA geben wird. Diese Prognose ist so traurig wie wahrscheinlich. Aber vielleicht passiert es seltener, vielleicht mit weniger Toten. Und vielleicht können politische Kompromisse, bei denen sich Konservative wie Linksliberale aus ihrer Komfort-Zone bewegen müssen, zur Heilung des Landes beitragen. Nicht statt, aber zusätzlich zu den Gebeten.

Von: Moritz Breckner

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