Der amerikanische Bibellehrer Ralph Drollinger trägt das Wort Gottes ins Herz der Macht. Einmal die Woche gibt er den Ministern der Regierung von US-Präsident Donald Trump eine Bibelstunde, die künftig sogar im Weißen Haus stattfinden soll. Zum „harten Kern“ der Teilnehmer gehören Vizepräsident Mike Pence, Justizminister Jeff Sessions, CIA-Direktor Mike Pompeo und vier weitere Minister. „Im Abgeordnetenhaus spreche ich schon seit zwei Jahren über die Bergpredigt, also habe ich das Thema jetzt auch im Kabinett übernommen“, erklärt Drollinger in der Zeitung Welt am Sonntag. Eine halbe Stunde referiere er, dann sei Raum für Fragen der Politiker. Trump selbst sei noch nicht dabei gewesen, aber er lese die Andachten immerhin und kritzele Kommentare an den Rand.
Mit Trump und dem Christentum bleibt es paradox. Viele Worte und Taten des US-Präsidenten legen nahe, dass er kein besonders frommer Mann ist – gelinde gesagt. Doch ausgerechnet dieser Trump, mit seinem anrüchigen Lebenswandel und seinen Schimpftiraden auf Twitter, schart evangelikale Christen um sich, hebt sie in höchste Ämter in Politik und Justiz, sucht offenbar ihren Rat. Das ist nicht zu unterschätzen in einer Zeit, in der das Christentum auch in den USA im öffentlichen Diskurs immer öfter marginalisiert wird.
Kritisieren, wo nötig
Die meisten Christen lehnen Trump entweder vehement ab oder verehren ihn glühend. Beide Perspektiven haben einen blinden Fleck. Der natürliche Weg ist der mittlere: Trump, seine Entscheidungen und Rhetorik müssen kritisiert werden, wo nötig. Darüber sollte aber nicht vergessen werden, wo auch gelobt werden kann: Beispielsweise wird der von Trump auf Lebenszeit berufene Richter Neil Gorsuch noch in 20 Jahren die Religionsfreiheit im Obersten Gerichtshof verteidigen. Trump liefert nicht zu knapp Material zum Kritisieren, doch nimmt er Christen und mehrere ihrer Anliegen in Schutz. Ob er dabei aus Überzeugung oder Taktik für den Lebensschutz eintritt oder die Gewissensfreiheit für christliche Arbeitgeber stärkt, ist für Christen im Ergebnis gleich. So oder so: Dieser Präsident lässt sich nicht leicht in eine Schublade stecken.
Drollinger hat in seinem Interview einen bemerkenswerten Satz gesagt: „Wenn es zu einer Zeit, in der Trump 20 oder 30 Jahre alt war, Missionsdienste für Geschäftsleute in New York gegeben hätte, mit zehn Predigern wie mir, die durch die Bürotürme von Manhattan gelaufen wären und Bibelkurse gegeben hätten, dann wäre Donald Trump heute ein ganz anderer Mann.“ Das ist ein guter Gedanke, denn er ermutigt dazu, anderen vom Glauben zu erzählen und für sie zu beten.
Und wer weiß, was sich bei den Bibelstunden im Weißen Haus noch ergibt.
Von: Moritz Breckner